Sämtliche Werke
königlicher Würde aufrecht hielt und beinahe die Balken des Gesimses mit dem Haupte berührte; auch die Züge desselben, obgleich verwüstet und verwittert, zeugten von ursprünglicher Schönheit, sie waren edel und streng gemessen, sehr spärlich fielen einige Silberhaare auf die von Stolz und Alter gefurchte Stirn, die Augen blickten bleich und stier, aber doch stechend, und dem hoch aufgeschürzten Munde entquollen in altertümlich griechischem Dialekt die wohllautenden und klangvollen Worte: ›Ihr irrt Euch, junger Mensch, ich bin weder ein Gespenst noch ein böser Dämon; ich bin ein Unglücklicher, welcher einst bessere Tage gesehen. Wer aber seid Ihr?‹
Die Schiffer erzählten nun dem Manne das Mißgeschick ihrer Fahrt und verlangten Auskunft über alles, was die Insel beträfe. Die Mitteilungen fielen aber sehr dürftig aus. Seit undenklicher Zeit, sagte der Alte, bewohne er die Insel, deren Bollwerke von Eis ihm gegen seine unerbittlichen Feinde eine sichere Zuflucht gewährten. Er lebe hauptsächlich vom Kaninchenfange, und alle Jahr, wenn die treibenden Eismassen sich gesetzt, kämen auf Schlitten einige Haufen Wilde, denen er seine Kaninchenfelle verkaufe und die ihm als Zahlung allerlei Gegenstände des unmittelbarsten Bedürfnisses überließen. Die Walfische, welche manchmal an die Insel heranschwämmen, seien seine liebste Gesellschaft. Dennoch mache es ihm Vergnügen, jetzt wieder seine Muttersprache zu reden, denn er sei ein Grieche; er bat auch seine Landsleute, ihm einige Nachrichten über die jetzigen Zustände Griechenlands zu erteilen. Daß von den Zinnen der Türme der griechischen Städte das Kreuz abgebrochen worden, verursachte dem Alten augenscheinlich eine boshafte Freude; doch war es ihm nicht ganz recht, als er hörte, daß an seiner Stelle der Halbmond jetzt aufgepflanzt steht. Sonderbar war es, daß keiner der Schiffer die Namen der Städte kannte, nach welchen der Alte sich erkundigte und die nach seiner Versicherung zu seiner Zeit blühend gewesen; in gleicher Weise waren ihm die Namen fremd, die den heutigen Städten und Dörfern Griechenlands von den Seeleuten erteilt wurden. Der Greis schüttelte deshalb oft wehmütig das Haupt, und die Schiffer sahen sich verwundert an. Sie merkten, daß er alle Örtlichkeiten Griechenlands ganz genau kannte, und in der Tat, er wußte die Buchten, die Erdzungen, die Vorsprünge der Berge, oft sogar den geringsten Hügel und die kleinsten Felsengruppen so bestimmt und anschaulich zu beschreiben, daß seine Unkenntnis der gewöhnlichsten Ortsnamen die Schiffer in das größte Erstaunen setzte. So befrug er sie mit besonderm Interesse, ja mit einer gewissen Ängstlichkeit, nach einem alten Tempel, der, wie er versicherte, zu seiner Zeit der schönste in ganz Griechenland gewesen sei. Doch keiner der Zuhörer kannte den Namen, den er mit Zärtlichkeit aussprach, bis endlich, nachdem der Alte die Lage des Tempels wieder ganz genau geschildert hatte, ein junger Matrose nach der Beschreibung den Ort erkannte, wovon die Rede war.
Das Dorf, wo er geboren, sagte der junge Mensch, sei eben an jenem Orte gelegen, und als Knabe habe er auf dem beschriebenen Platze lange Zeit die Schweine seines Vaters gehütet. Auf jener Stelle, sagt er, fänden sich wirklich die Trümmer uralter Bauwerke, welche von untergegangener Pracht zeugten; nur hie und da ständen noch aufrecht einige große Marmorsäulen, entweder einzeln oder oben verbunden durch die Quadern eines Giebels, aus dessen Brüchen blühende Ranken von Geißblatt und roten Glockenblumen, wie Haarflechten, herabfielen. Andre Säulen, darunter manche von rosigem Marmor, lägen gebrochen auf dem Boden, und das Gras wuchere über die kostbaren Knäufe, die aus schön gemeißeltem Blätter und Blumenwerk beständen. Auch große Marmorplatten, viereckige Wand oder dreieckige Dachstücke steckten dort halbversunken in der Erde, überragt von einem ungeheuer großen wilden Feigenbaum, der aus dem Schutte hervorgewachsen. Unter dem Schatten dieses Baumes, fahr der Bursche fort, habe er oft ganze Stunden zugebracht, um die sonderbaren Figuren zu betrachten, die auf den großen Steinen in runder Bildhauerarbeit konterfeit waren und allerlei Spiele und Kämpfe vorstellten, gar lieblich und lustig anzusehen, aber leider auch vielfach zerstört von der Witterung oder über, wachsen von Moos und Efeu. Sein Vater, den er um die geheimnisvolle Bedeutung jener Säulen und Bildwerke befragte, sagte ihm einst, daß
Weitere Kostenlose Bücher