Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
letztere mag wohl der Fall sein: denn ich erinnere mich, daß ich in jedem Lustrum meines Lebens den »Don Quixote« mit abwechselnd verschiedenartigen Empfindungen gelesen habe. Als ich ins Jünglingsalter emporblühete und mit unerfahrenen Händen in die Rosenbüsche des Lebens hineingriff und auf die höchsten Felsen klomm, um der Sonne näher zu sein, und des Nachts von nichts träumte als von Adlern und reinen Jungfrauen, da war mir der »Don Quixote« ein sehr unerquickliches Buch, und lag es in meinem Wege, so schob ich es unwillig zur Seite. Späterhin, als ich zum Manne heranreifte, versöhnte ich mich schon einigermaßen mit Dulcineas unglücklichem Kämpen, und ich fing schon an, über ihn zu lachen. »Der Kerl ist ein Narr«, sagte ich. Doch, sonderbarerweise, auf allen meinen Lebensfahrten verfolgten mich die Schattenbilder des dürren Ritters und seines fetten Knappen, namentlich wenn ich an einen bedenklichen Scheideweg gelangte. So erinnere ich mich, als ich nach Frankreich reiste und eines Morgens im Wagen aus einem fieberhaften Halbschlummer erwachte, sah ich im Frühnebel zwei wohlbekannte Gestalten neben mir einherreiten, und die eine, an meiner rechten Seite, war Don Quixote von der Mancha auf seiner abstrakten Rosinante, und die andere, zu meiner Linken, war Sancho Pansa auf seinem positiven Grauchen. Wir hatten eben die französische Grenze erreicht. Der edle Manchaner beugte ehrfurchtsvoll das Haupt vor der dreifarbigen Fahne, die uns vom hohen Grenzpfahl entgegenflatterte, der gute Sancho grüßte mit etwas kühlerem Kopfnicken die ersten französischen Gendarmen, die unfern zum Vorschein kamen; endlich aber jagten beide Freunde mir voran, ich verlor sie aus dem Gesichte, und nur noch zuweilen hörte ich Rosinantes begeistertes Gewieher und die bejahenden Töne des Esels.
    Ich war damals der Meinung, die Lächerlichkeit des Donquixotismus bestehe darin, daß der edle Ritter eine längst abgelebte Vergangenheit ins Leben zurückrufen wollte und seine armen Glieder, namentlich sein Rücken, mit den Tatsachen der Gegenwart in schmerzliche Reibungen gerieten. Ach, ich habe seitdem erfahren, daß es eine ebenso undankbare Tollheit ist, wenn man die Zukunft allzu frühzeitig in die Gegenwart einführen will und bei solchem Ankampf gegen die schweren Interessen des Tages nur einen sehr mageren Klepper, eine sehr morsche Rüstung und einen ebenso gebrechlichen Körper besitzt! Wie über jenen, so auch über diesen Donquixotismus schüttelt der Weise sein vernünftiges Haupt. – Aber Dulcinea von Toboso ist dennoch das schönste Weib der Welt; obgleich ich elend zu Boden liege, nehme ich dennoch diese Behauptung nimmermehr zurück, ich kann nicht anders – stoßt zu mit euren Lanzen, ihr silberne Mondritter, ihr verkappte Barbiergesellen!
    Welcher Grundgedanke leitete den großen Cervantes, als er sein großes Buch schrieb? Beabsichtigte er nur den Ruin der Ritterromane, deren Lektüre zu seiner Zeit in Spanien so stark grassierte, daß geistliche und weltliche Verordnungen dagegen unmächtig waren? Oder wollte er alle Erscheinungen der menschlichen Begeisterung überhaupt und zunächst das Heldentum der Schwertführer ins Lächerliche ziehen? Offenbar bezweckte er nur eine Satire gegen die erwähnten Romane, die er, durch Beleuchtung ihrer Absurditäten, dem allgemeinen Gespötte und also dem Untergange überliefern wollte. Dieses gelang ihm auch aufs glänzendste: denn was weder die Ermahnungen der Kanzel noch die Drohungen der Kanzelei bewerkstelligen konnten, das erwirkte ein armer Schriftsteller mit seiner Feder: er richtete die Ritterromane so gründlich zugrunde, daß bald nach dem Erscheinen des »Don Quixote« der Geschmack für jene Bücher in ganz Spanien erlosch und auch keins derselben mehr gedruckt ward. Aber die Feder des Genius ist immer größer als er selber, sie reicht immer weit hinaus über seine zeitlichen Absichten, und ohne daß er sich dessen klar bewußt wurde, schrieb Cervantes die größte Satire gegen die menschliche Begeisterung. Nimmermehr ahnte er dieses, er selber, der Held, welcher den größten Teil seines Lebens in ritterlichen Kämpfen zugebracht hatte und im späten Alter sich noch oft darüber freute, daß er in der Schlacht bei Lepanto mitgefochten, obgleich er diesen Ruhm mit dem Verluste seiner linken Hand bezahlt hatte.
    Über Person und Lebensverhältnisse des Dichters, der den »Don Quixote« geschrieben, weiß der Biograph nur weniges zu melden. Wir

Weitere Kostenlose Bücher