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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Feder aus der Hand, und er seufzt und flennt gelinde. Als Pietist müßte er eigentlich, seinem frömmelnden Wesen nach, jenen Dichter hassen, dessen Geist, ganz getränkt von blühender Götterlust, in jedem Worte das freudigste Heidentum atmet; er müßte ihn hassen, jenen Bekenner des Lebens, der, dem Glauben des Todes heimlich abhold und in den süßesten Schauern alter Heldenkraft schwelgend, von den traurigen Seligkeiten der Demut und der Entsagung und der Kopfhängerei nichts wissen will! Aber er liebt ihn dennoch, und in seiner unermüdlichen Liebe möchte er den Shakespeare nachträglich zur wahren Kirche bekehren; er kommentiert eine christliche Gesinnung in ihn hinein: sei es frommer Betrug oder Selbsttäuschung, diese christliche Gesinnung entdeckt er überall in den Shakespeareschen Dramen, und das fromme Wasser seiner Erläuterungen ist gleichsam ein Taufbad von fünf Bänden, welches er dem großen Heiden auf den Kopf gießt.
    Aber, ich wiederhole es, diese Erläuterungen sind nicht ganz ohne Geist. Manchmal bringt Franz Horn einen guten Einfall zur Welt; dann schneidet er allerlei langweilig süßsäuerliche Grimassen und greint und dreht sich und windet sich auf dem Gebärstuhl des Gedankens; und wenn er endlich mit dem guten Einfall niedergekommen, dann betrachtet er gerührt die Nabelschnur und lächelt erschöpft, wie eine Wöchnerin. Es ist in der Tat eine ebenso verdrießliche wie kurzweilige Erscheinung, daß grade unser schwächlicher pietistischer Franz den Shakespeare kommentiert hat. In einem Lustspiel von Grabbe ist die Sache aufs ergötzlichste umgekehrt: Shakespeare, welcher nach dem Tode in die Hölle gekommen, muß dort Erläuterungen zu Franz Horns Werken schreiben.
    Wirksamer als die Glossen und die Erklärerei und das mühsame Lobhudeln der Kommentatoren war für die Popularisierung Shakespeares die begeisterte Liebe, womit talentvolle Schauspieler seine Dramen aufführten und somit dem Urteil des gesamten Publikums zugänglich machten. Lichtenberg, in seinen »Briefen aus England«, gibt uns einige bedeutsame Nachrichten über die Meisterschaft, womit, in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, auf der Londoner Bühne die Shakespeareschen Charaktere dargestellt wurden. Ich sage Charaktere, nicht die Werke in ihrer Ganzheit; denn bis auf heutiger Stunde haben die britischen Schauspieler im Shakespeare nur die Charakteristik begriffen, keineswegs die Poesie und noch weniger die Kunst. Solche Einseitigkeit der Auffassung findet sich aber jedenfalls in weit bornierterem Grade bei den Kommentatoren, die durch die bestäubte Brille der Gelehrsamkeit nimmermehr imstande waren, das Allereinfachste, das Zunächstliegende, die Natur, in Shakespeares Dramen zu sehen. Garrick sah klarer den Shakespeareschen Gedanken als Dr. Johnson, der John Bull der Gelehrsamkeit, auf dessen Nase die Königin Mab gewiß die drolligsten Sprünge machte, während er über den »Sommernachtstraum« schrieb; er wußte gewiß nicht, warum er bei Shakespeare mehr Nasenkitzel und Lust zum Niesen empfand als bei den übrigen Dichtern, die er kritisierte.
    Während Dr. Johnson die Shakespeareschen Charaktere als tote Leichen sezierte und dabei seine dicksten Dummheiten in ciceronianischem Englisch auskramte und sich mit plumper Selbstgefälligkeit auf den Antithesen seines lateinischen Periodenbaues schaukelte, stand Garrick auf der Bühne und erschütterte das ganze Volk von England, indem er mit schauerlicher Beschwörung jene Toten ins Leben rief, daß sie vor aller Augen ihre grauenhaften, blutigen oder lächerlichen Geschäfte verrichteten. Dieser Garrick aber liebte den großen Dichter, und zum Lohne für solche Liebe liegt er begraben in Westminster, neben dem Piedestal der Shakespeareschen Statue, wie ein treuer Hund zu den Füßen seines Herrn.
    Eine Übersiedelung des Garrickschen Spiels nach Deutschland verdanken wir dem berühmten Schröder, welcher auch einige der besten Dramen Shakespeares für die deutsche Bühne zuerst bearbeitete. Wie Garrick, so hat auch Schröder weder die Poesie noch die Kunst begriffen, die sich in jenen Dramen offenbart, sondern er tat nur einen verständigen Blick in die Natur, die sich darin zunächst ausspricht; und weniger suchte er die holdselige Harmonie und die innere Vollendung eines Stücks als vielmehr die einzelnen Charaktere darin mit der einseitigsten Naturtreue zu reproduzieren. Zu diesem Urteil berechtigen mich sowohl die Traditionen seines Spieles, wie sie sich bis

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