Sämtliche Werke
tat.
CLEOPATRA.
O Charmian!
Wo, glaubst du, ist er jetzt? Steht oder sitzt er?
Geht er umher? Besteigt er jetzt sein Roß?
Beglücktes Roß, das seine Last erträgt!
Sei tapfer, Roß! Denn weißt du, wen du trägst?
Der Erde halben Atlas! Ihn, den Arm,
Den Helm der Menschen! Sprechen wird er oder
Wird murmeln jetzt: »Wo ist nun meine Schlange
Des alten Nils?« – Denn also nennt er mich.
Soll ich, ohne Furcht vor diffamatorischem Mißlächeln, meinen ganzen Gedanken aussprechen, so muß ich ehrlich bekennen: dieses ordnungslose Fühlen und Denken der Cleopatra, welches eine Folge des ordnungslosen, müßigen und beunruhigten Lebenswandels, erinnert mich an eine gewisse Klasse verschwenderischer Frauen, deren kostspieliger Haushalt von einer außereh’lichen Freigebigkeit bestritten wird und die ihre Titulargatten sehr oft mit Liebe und Treue, nicht
selten
auch mit bloßer Liebe, aber immer mit tollen Launen plagen und beglücken. Und war sie denn im Grunde etwas anders, diese Cleopatra, die wahrlich mit ägyptischen Kroneinkünften nimmermehr ihren unerhörten Luxus bezahlen konnte und von dem Antonius, ihrem römischen Entreteneur, die erpreßten Schätze ganzer Provinzen als Geschenke empfing und im eigentlichen Sinne des Wortes eine unterhaltene Königin war!
In dem aufgeregten, unsteten, aus lauter Extremen zusammengewürfelten, drückend schwülen Geiste der Cleopatra wetterleuchtet ein sinnlich wilder, schwefelgelber Witz, der uns mehr erschreckt als ergötzt. Plutarch gibt uns einen Begriff von diesem Witze, der sich mehr in Handlungen als in Worten ausspricht, und schon in der Schule lachte ich mit ganzer Seele über den mystifizierten Antonius, der mit seiner königlichen Geliebten auf den Fischfang ausfuhr, aber an seiner Schnur lauter eingesalzene Fische heraufzog; denn die schlaue Ägypterin hatte heimlich eine Menge Taucher bestellt, welche unter dem Wasser an dem Angelhaken des verliebten Römers jedesmal einen eingesalzenen Fisch zu befestigen wußten. Freilich, unser Lehrer machte bei dieser Anekdote ein sehr ernsthaftes Gesicht und tadelte nicht wenig den frevelhaften Übermut, womit die Königin das Leben ihrer Untertanen, jener armen Taucher, aufs Spiel setzte, um den besagten Spaß auszuführen; unser Lehrer war überhaupt kein Freund der Cleopatra, und er machte uns sehr nachdrücklich darauf aufmerksam, wie sich der Antonius durch dieses Weib seine ganze Staatskarriere verdarb, in häusliche Unannehmlichkeiten verwickelte und endlich ins Unglück stürzte.
Ja, mein alter Lehrer hatte recht, es ist äußerst gefährlich, sich mit einer Person, wie die Cleopatra, in ein näheres Verhältnis einzulassen. Ein Held kann dadurch zugrunde gehen, aber auch nur ein Held. Der lieben Mittelmäßigkeit droht hier, wie überall, keine Gefahr.
Wie der Charakter der Cleopatra, so ist auch ihre Stellung eine äußerst witzige. Dieses launische, lustsüchtige, wetterwendische, fieberhaft kokette Weib, diese antike Pariserin, diese Göttin des Lebens gaukelt und herrscht über Ägypten, dem schweigsam starren Totenland… Ihr kennt es wohl, jenes Ägypten, jenes geheimnisvolle Mizraim, jenes enge Niltal, das wie ein Sarg aussieht… Im hohen Schilfe greint das Krokodil oder das ausgesetzte Kind der Offenbarung… Felsentempel mit kolossalen Pfeilern, woran heilige Tierfratzen lehnen, häßlich bunt bemalt… An der Pforte nickt der hieroglyphenmützige Isismönch… In üppigen Villas halten die Mumien ihre Siesta, und die vergoldete Larve schützt sie vor den Fliegenschwärmen der Verwesung… Wie stumme Gedanken stehen dort die schlanken Obelisken und die plumpen Pyramiden… Im Hintergrund grüßen die Mondberge Äthiopiens, welche die Quellen des Nils verhüllen… Überall Tod, Stein und Geheimnis… Und über dieses Land herrschte als Königin die schöne Cleopatra.
Wie witzig ist Gott!
Lavinia
(Titus Anndronicus)
In »Julius Cäsar« sehen wir die letzten Zuckungen des republikanischen Geistes, der dem Aufkommen der Monarchie vergebens entgegenkämpft; die Republik hat sich überlebt, und Brutus und Cassius können nur den Mann ermorden, der zuerst nach der königlichen Krone greift, keineswegs aber vermögen sie das Königtum zu töten, das in den Bedürfnissen der Zeit schon tief wurzelt. In »Antonius und Cleopatra« sehen wir, wie, statt des einen gefallenen Cäsars, drei andre Cäsaren nach der Weltherrschaft die kühnen Hände strecken; die Prinzipienfrage ist gelöst, und der
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