Sämtliche Werke
gefallenen Göttlichkeit, in den Augen eine weltverzehrende Wollust, prachtvoll lasterhaft, lechzend nach rotem Blut. Weitblickend milde, wie unser Dichter sich immer zeigt, hat er schon in der ersten Szene, wo Tamora erscheint, alle die Greul, die sie später gegen Titus Andronicus ausübt, im voraus justifiziert. Denn dieser starre Römer, ungerührt von ihren schmerzlichsten Mutterbitten, läßt ihren geliebten Sohn gleichsam vor ihren Augen hinrichten; sobald sie nun, in der werbenden Gunst des jungen Kaisers, die Hoffnungsstrahlen einer künftigen Rache erblickt, entringeln sich ihren Lippen die jauchzend finstern Worte:
Ich will es ihnen zeigen, was es heißt,
Wenn eine Königin auf den Straßen kniet
Und Gnad’ umsonst erfleht.
Wie ihre Grausamkeit entschuldigt wird durch das erduldete Übermaß von Qualen, so erscheint die metzenhafte Lüderlichkeit, womit sie sich sogar einem scheußlichen Mohren hingibt, gewissermaßen veredelt durch die romantische Poesie, die sich darin ausspricht. Ja, zu den schauerlich süßesten Zaubergemälden der romantischen Poesie gehört jene Szene, wo während der Jagd die Kaiserin Tamora ihr Gefolge verlassen hat und ganz allein im Walde mit dem geliebten Mohren zusammentrifft.
Warum so traurig, holder Aaron?
Da doch umher so heiter alles scheint.
Die Vögel singen überall im Busch,
Die Schlange liegt im Sonnenstrahl gerollt,
Das grüne Laub bebt von dem kühlen Hauch
Und bildet bunte Schatten auf dem Boden.
Im süßen Schatten, Aaron, laß uns sitzen,
Indes die Echo schwatzhaft Hunde äfft
Und widerhallt der Hörner hellen Klang,
Als sei die Jagd verdoppelt; – laß uns sitzen
Und horchen auf das gellende Getöse.
Nach solchem Zweikampf, wie der War, den Dido –
Erzählt man – mit Äneas einst genoß,
Als glücklich sie ein Sturmwind überfiel
Und die verschwiegne Grotte sie verbarg,
Laß uns verschlungen beide, Arm in Arm,
Wenn wir die Lust genossen, goldnem Schlaf
Uns überlassen; während Hund und Horn
Und Vögel mit der süßen Melodie
Uns das sind, was der Amme Lied ist, die
Damit das Kindlein lullt und wiegt zum Schlaf.
Während aber Wollustgluten aus den Augen der schönen Kaiserin hervorlodern und über die schwarze Gestalt des Mohren wie lockende Lichter, wie züngelnde Flammen ihr Spiel treiben, denkt dieser an weit wichtigere Dinge, an die Ausführung der schändlichsten Intrigen, und seine Antwort bildet den schroffsten Gegensatz zu der brünstigen Anrede Tamoras.
Constanze
(König Johann)
Es war am 29. August des Jahrs 1827 nach Christi Geburt, als ich im Theater zu Berlin, bei der ersten Vorstellung einer neuen Tragödie von Herrn E. Raupach, allmählich einschlief.
Für das gebildete Publikum, das nicht ins Theater geht und nur die eigentliche Literatur kennt, muß ich hier bemerken, daß benannter Herr Raupach ein sehr nützlicher Mann ist, ein Tragödien- und Komödienlieferant, welcher die Berliner Bühne jeden Monat mit einem neuen Meisterwerk versieht. Die Berliner Bühne ist eine vortreffliche Anstalt und besonders nützlich für Hegelsche Philosophen, welche des Abends von dem harten Tagwerk des Denkens ausruhen wollen. Der Geist erholt sich dort noch weit natürlicher als bei Wisotzki. Man geht ins Theater, streckt sich nachlässig hin auf die samtnen Bänke, lorgniert die Augen seiner Nachbarinnen oder die Beine der eben auftretenden Mimin, und wenn die Kerls von Komödianten nicht gar zu laut schreien, schläft man ruhig ein, wie ich es wirklich getan, am 29. August des Jahres 1827 nach Christi Geburt.
Als ich erwachte, war alles dunkel rund um mich her, und bei dem Scheine einer mattflimmernden Lampe erkannte ich, daß ich mich ganz allein im leeren Schauspielhause befand. Ich beschloß, den übrigen Teil der Nacht dort zu verbringen, suchte wieder gelinde einzuschlafen, welches mir aber nicht mehr so gut gelang wie einige Stunden vorher, als der Mohnduft der Raupachschen Verse mir in die Nase stieg; auch störte mich allzusehr das Knispern und Gepiepse der Mäuse. Unfern vom Orchester raschelte eine ganze Mäusekolonie, und da ich nicht bloß Raupachsche Verse, sondern auch die Sprache aller übrigen Tiere verstehe, so erlauschte ich ganz unwillkürlich die Gespräche jener Mäuse. Sie sprachen über Gegenstände, die ein denkendes Geschöpf am meisten interessieren müssen: über die letzten Gründe aller Erscheinungen, über das Wesen der Dinge an und für sich, über Schicksal und Freiheit des Willens, über die
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