Sämtliche Werke
Verderben.
…
Als kalten Bissen auf
Des toten Cäsars Schüssel fand ich dich;
Du warst ein Überbleibsel schon des Cnejus
Pompejus; andrer heißer Stunden nicht
Zu denken, die, vom allgemeinen Ruf
Nicht aufgezeichnet, du wollüstig dir
Erhaschtest.
Aber wie jener Speer des Achilles, welcher die Wunden, die er schlug, wieder heilen konnte, so kann der Mund des Liebenden mit seinen Küssen auch die tödlichsten Stiche wieder heilen, womit sein scharfes Wort das Gemüt des Geliebten verletzt hat… Und nach jeder Schändlichkeit, welche die alte Nilschlange gegen den römischen Wolf ausübte, und nach jeder Schimpfrede, die dieser darüber losheulte, züngeln sie beide miteinander um so zärtlicher; noch im Sterben drückt er auf ihre Lippen von so vielen Küssen noch den letzten Kuß…
Aber auch sie, die ägyptische Schlange, wie liebt sie ihren römischen Wolf! Ihre Verrätereien sind nur äußerliche Windungen der bösen Wurmnatur, sie übt dergleichen mehr mechanisch aus angeborner oder angewöhnter Unart… aber in der Tiefe ihrer Seele wohnt die unwandelbarste Liebe für Antonius, sie weiß es selbst nicht, daß diese Liebe so stark ist, sie glaubt manchmal diese Liebe überwinden oder gar mit ihr spielen zu können, und sie irrt sich, und dieser Irrtum wird ihr erst recht klar in dem Augenblick, wo sie den geliebten Mann auf immer verliert und ihr Schmerz in die erhabenen Worte ausbricht:
Ich träumt: es gab einst einen Feldherrn Marc
Anton! – O einen zweiten, gleichen Schlaf,
Um noch einmal solch einen Mann zu sehn!
…
Sein Gesicht
War wie des Himmels Antlitz. Drinnen stand
Die Sonn’ und auch ein Mond und liefen um,
Und leuchteten der Erde kleinem O.
…
Seine Füße
Beschritten Ozeane; sein empor-
Gestreckter Arm umsauste eine Welt;
Der Harmonie der Sphären glich die Stimme,
Wenn sie den Freunden tönte; wenn er meint’
Den Erdkreis zu bezähmen, zu erschüttern,
Wie Donner rasselnd. Seine Güte kannte
Den Winter nie; sie war ein Herbst, der stets
Durch Ernten reicher ward. Delphinen gleich
War sein Ergötzen, die den Rücken ob
Dem Elemente zeigen, das sie hegt.
Es wandelten in seiner Liverei
Der Königs- und der Fürstenkronen viel.
Und Königreich’ und Inseln fielen ihm
Wie Münzen aus der Tasche.
Diese Cleopatra ist ein Weib. Sie liebt und verrät zu gleicher Zeit. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Weiber, wenn sie uns verraten, auch aufgehört haben, uns zu lieben. Sie folgen nur ihrer angebornen Natur; und wenn sie auch nicht den verbotenen Kelch leeren wollen, so möchten sie doch manchmal ein bißchen nippen, an dem Rande lecken, um wenigstens zu kosten, wie Gift schmeckt. Nächst Shakespeare, in vorliegender Tragödie, hat dieses Phänomen niemand so gut geschildert wie unser alter Abbé Prévost in seinem Romane »Manon de Lescaut«. Die Intuition des größten Dichters stimmt hier überein mit der nüchternen Beobachtung des kühlsten Prosaikers.
Ja, diese Cleopatra ist ein Weib, in der holdseligsten und vermaledeitesten Bedeutung des Wortes! Sie erinnert mich an jenen Ausspruch Lessings: »Als Gott das Weib schuf, nahm er den Ton zu fein.« Die Überzartheit seines Stoffes verträgt sich nun selten mit den Ansprüchen des Lebens. Dieses Geschöpf ist zu gut und zu schlecht für diese Welt. Die lieblichsten Vorzüge werden hier die Ursache der verdrießlichsten Gebrechen. Mit entzückender Wahrheit schildert Shakespeare schon gleich beim Auftreten der Cleopatra den bunten, flatterhaften Launengeist, der im Kopfe der schönen Königin beständig rumort, nicht selten in den bedenklichsten Fragen und Gelüsten, übersprudelt und vielleicht eben als der letzte Grund von all ihrem Tun und Lassen zu betrachten ist. Nichts ist charakteristischer als die fünfte Szene des ersten Akts, wo sie von ihrer Kammerjungfer verlangt, daß sie ihr Mandragora zu trinken gebe, damit dieser Schlaftrunk ihr die Zeit ausfülle, während Antonius entfernt. Dann plagt sie der Teufel, ihren Kastraten Mardian zu rufen. Er fragt untertänig, was seine Gebieterin begehre. »Singen will ich dich nicht hören«, antwortet sie, »denn nichts gefällt mir jetzt, was Eunuchen eigen ist – aber sage mir: Fühlst du denn Leidenschaft?«
MARDIAN.
Ja, holde Königin!
CLEOPATRA.
In Wahrheit?
MARDIAN.
Nicht in Wahrheit;
Denn nichts vermag ich, als was in der Wahrheit
Mit Anstand kann geschehn, und doch empfind
Ich heft’ge Triebe, denk auch oft an das,
Was Mars mit Venus
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