Sämtliche Werke
mit einem gewissen lauwarmen Wohlwollen die schneebedeckten Dächer und die traurig entlaubten Bäume beglänzte. Ich schrieb in einem Zuge und ohne Brouillon. Während dem Schreiben war es mir, als hörte ich über meinem Haupte ein Rauschen, wie der Flügelschlag eines Vogels. Als ich meinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählte, sahen sie sich einander an mit einer sonderbaren Miene und versicherten mir einstimmig, daß ihnen nie dergleichen beim Dichten passiert sei.
Paris, 24. November 1851
Heinrich Heine
Personen.
Mac-Gregor, schottischer Laird.
Maria, seine Tochter.
Graf Douglas, ihr Bräutigam.
William Ratcliff.
Lesley, sein Freund.
Margarete, Marias Amme.
Tom, Wirt einer Diebesherberge.
Willie, sein Söhnchen.
Robin,
Dick,
Bill,
John,
Taddie, , Räuber und Gauner.
Räuber, Bediente, Hochzeitsgäste.
Die Handlung geht vor in der neuesten Zeit, im nördlichen Schottland.
Zimmer in Mac-Gregors Schloß
Margarete (kauert bewegungslos in einer Ecke).
Mac-Gregor. Maria. Douglas.
MAC-GREGOR
er legt Douglas’ und Marias Hände ineinander.
Ihr seid jetzt Mann und Weib. Wie eure Hände
Vereinigt sind, so sollen auch die Herzen,
In Leid und Freud, vereinigt sein auf immer.
Zwei mächt’ge Sakramente, das der Kirche
Und das der Liebe, haben euch verbunden;
Ein Doppelsegen ruht auf euren Häuptern;
Und auch den Vatersegen leg ich drauf.
Er legt segnend seine Hände auf beider Haupt.
DOUGLAS.
Mit Stolz, Mylord, nenn ich Euch heute: Vater.
MAC-GREGOR.
Mit noch weit größerm Stolz nenn ich Euch: Sohn.
Sie umarmen sich.
MARGARETE
singt im abgebrochenen Wahnsinntone.
»Was ist von Blut dein Schwert so rot?
Edward, Edward?«
DOUGLAS
erschrocken auffahrend und nach Margarete schauend.
Um Gott, Mylord, welch gläsern geller Laut?
Es fängt zu singen an, das stumme Bild –
MAC-GREGOR
mit erzwungenem Lächeln.
Stört Euch nicht dran. Es ist die tolle Margarete,
Gehört zum Schloß. Sie leidet an der Starrsucht,
Seit Jahr und Tag. Mit stieren Augen liegt sie
Gekauert, manch unheimlich lange Stunde;
Und dann und wann, wie’n Stein, der sprechen kann,
Bewegungslos, quäkt sie ein altes Lied –
DOUGLAS.
Warum behaltet Ihr im Schloß solch Schrecknis?
MAC-GREGOR
leise zu ihm.
Still, still. Sie hört jedwedes Wort; – schon lange
Hätt ich sie fortgeschafft – doch darf ich nicht.
MARIA.
Laßt ruhn die arme, gute Margarete.
Erzählt mir lieber etwas Neues, Douglas.
Wie sieht’s in London aus? Bei uns in Schottland
Erfährt man nichts.
DOUGLAS.
Noch ist’s das alte Treiben.
Man rennt, und fährt, und jagt, Straß’ auf, Straß’ ab.
Man schläft des Tags, und macht zum Tag die Nacht.
Vauxhall und Routs und Picknicks drängen sich;
Und Drurylane und Coventgarden locken.
Die Oper rauscht. Pfundnoten wechselt man
Für Musiknoten ein. »God save the King«
Wird mitgebrüllt. Die Patrioten liegen
In dunkeln Schenken und politisieren,
Und subskribieren, wetten, fluchen, gähnen,
Und saufen auf das Wohl des Vaterlands.
Roastbeef und Pudding dampft, der Porter schäumt,
Und sein Rezept schreibt lächelnd der Quacksalber.
Die Taschendiebe drängen. Gauner quälen
Mit ihrer Höflichkeit. Der Bettler quält
Mit seinem Jammeranblick und Gewimmer.
Vor allem quält die unbequeme Tracht,
Der enge Wespenrock, das steife Halsband,
Und gar der babylonisch hohe Turmhut.
MAC-GREGOR.
Da lob ich mir mein Plaid und meine Mütze.
Ihr tatet gut, daß Ihr die Narrenkleider
Vom Leib geworfen habt. Ein Douglas muß
Im Äußern auch ein Schotte sein, und heute
Lacht mir das Herz im Leib, wenn ich Euch schaue,
Euch alle, in der lieben Schottentracht.
MARIA.
Erzählt mir was von Eurer Reise, Douglas.
DOUGLAS.
Zu Wagen fuhr ich bis an Schottlands Grenze.
Das ging mir viel zu langsam. In Old-Jedburgh
Nahm ich ein Pferd. Ich gab dem Tier die Spor’n.
Mich selber aber spornte Liebessehnsucht.
Ich dachte nur an Euch, Marie, und pfeilschnell,
Durch Busch und Berg und Feld, trug mich mein Roß.
Im Wald bei Invernes wär mir’s bald schlecht
Bekommen, daß ich in Gedanken ritt.
Piff! Paff! erweckten mich aus meinen Träumen
Die Kugeln, die mir um die Ohren pfiffen.
Drei Straßenräuber stürzten auf mich ein.
Ein Kampf begann. Es regneten die Hiebe.
Ich wehrte mich der Haut; doch unterliegen
Hätt ich wohl müssen –
O weh! Marie erbleicht,
Und wankt, und sinkt –
Margarete springt hastig auf und hält die in Ohnmacht fallende Maria in ihren
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