Sämtliche Werke
zu Hamburg vor dem Alsterpavillon standen, an dem Tage, wo Paganini dort sein erstes Konzert gab. ›Ja, mein Freund‹, fuhr er fort, ›es ist wahr, was die ganze Welt behauptet, daß er sich dem Teufel verschrieben hat, Leib und Seele, um der beste Violinist zu werden, um Millionen zu erfiedeln, und zunächst, um von der verdammten Galeere loszukommen, wo er schon viele Jahre geschmachtet. Denn sehen Sie, Freund, als er zu Lucca Kapellenmeister war, verliebte er sich in eine Theaterprinzessin, ward eifersüchtig auf irgendeinen kleinen Abate, ward vieleicht cocu, erstach auf gut italienisch seine ungetreue Amata, kam auf die Galeere zu Genua und, wie gesagt, verschrieb sich endlich dem Teufel, um loszukommen, um der beste Violinspieler zu werden und um jeden von uns diesen Abend eine Brandschatzung von zwei Talern auferlegen zu können… Aber, sehen Sie! Alle gute Geister loben Gott! sehen Sie, dort in der Allee kommt er selber mit seinem zweideutigen Famulo!‹
In der Tat, es war Paganini selber, den ich alsbald zu Gesicht bekam. Er trug einen dunkelgrauen Oberrock, der ihm bis zu den Füßen reichte, wodurch seine Gestalt sehr hoch zu sein schien. Das lange schwarze Haar fiel in verzerrten Locken auf seine Schulter herab und bildete wie einen dunklen Rahmen um das blasse, leichenartige Gesicht, worauf Kummer, Genie und Hölle ihre unverwüstlichen Zeichen eingegraben hatten. Neben ihm tänzelte eine niedrige, behagliche Figur, putzig prosaisch: rosig verrunzeltes Gesicht, hellgraues Röckchen mit Stahlknöpfen, unausstehlich freundlich nach allen Seiten hingrüßend, mitunter aber, voll besorglicher Scheu, nach der düsteren Gestalt hinaufschielend, die ihm ernst und nachdenklich zur Seite wandelte. Man glaubte das Bild von Retzsch zu sehen, wo Faust mit Wagner vor den Toren von Leipzig spazierengeht. Der taube Maler kommentierte mir aber die beiden Gestalten in seiner tollen Weise und machte mich besonders aufmerksam auf den gemessenen breiten Gang des Paganini. ›Ist es nicht‹, sagte er, ›als trüge er noch immer die eiserne Querstange zwischen den Beinen? Er hat sich nun ein mal diesen Gang auf immer angewöhnt. Sehen Sie auch, wie verächtlich ironisch er auf seinen Begleiter manchmal hinabschaut, wenn dieser ihm mit seinen prosaischen Fragen lästig wird; er kann ihn aber nicht entbehren, ein blutiger Kontrakt bindet ihn an diesen Diener, der eben kein andrer ist als Satan. Das unwissende Volk meint freilich, dieser Begleiter sei der Komödien- und Anekdotenschreiber Harrys aus Hannover, den Paganini auf Reisen mitgenommen habe, um die Geldgeschäfte bei seinen Konzerten zu verwalten. Das Volk weiß nicht, daß der Teufel dem Herrn Georg Harrys bloß seine Gestalt abgeborgt hat und daß die arme Seele dieses armen Menschen unterdessen, neben anderem Lumpenkram, in einem Kasten zu Hannover so lange eingesperrt sitzt, bis der Teufel ihr wieder ihre Fleischenveloppe zurückgibt und er vielleicht seinen Meister Paganini in einer würdigeren Gestalt, nämlich als schwarzer Pudel, durch die Welt begleiten wird.‹
War mir aber Paganini, als ich ihn am hellen Mittage, unter den grünen Bäumen des Hamburger Jungfernstiegs, einherwandeln sah, schon hinlänglich fabelhaft und abenteuerlich erschienen, wie mußte mich erst des Abends im Konzerte seine schauerlich bizarre Erscheinung überraschen. Das Hamburger Komödienhaus war der Schauplatz dieses Konzertes, und das kunstliebende Publikum hatte sich schon frühe und in solcher Anzahl eingefunden, daß ich kaum noch ein Plätzchen für mich am Orchester erkämpfte. Obgleich es Posttag war, erblickte ich doch, in den ersten Ranglogen, die ganze gebildete Handelswelt, einen ganzen Olymp von Bankiers und sonstigen Millionären, die Götter des Kaffees und des Zuckers, nebst deren dicken Ehegöttinnen, Junonen vom Wandrahm und Aphroditen vom Dreckwall. Auch herrschte eine religiöse Stille im ganzen Saal. Jedes Auge war nach der Bühne gerichtet. Jedes Ohr rüstete sich zum Hören. Mein Nachbar, ein alter Pelzmakler, nahm seine schmutzige Baumwolle aus den Ohren, um bald die kostbaren Töne, die zwei Taler Entreegeld kosteten, besser einsaugen zu können. Endlich aber, auf der Bühne kam eine dunkle Gestalt zum Vorschein, die der Unterwelt entstiegen zu sein schien. Das war Paganini in seiner schwarzen Gala. Der schwarze Frack und die schwarze Weste von einem entsetzlichen Zuschnitt, wie er vielleicht am Hofe Proserpinens von der höllischen Etikette
Weitere Kostenlose Bücher