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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Archäismen, gleichsam Wortversteinerungen, fossile Redensarten enthalten, welche darauf hinweisen, daß dieses Gedicht nur eine Nachbildung eines älteren Originals ist, das im Laufe der Zeit verlorengegangen. Kurz nach der Invasion Englands durch die französischen Normannen muß jenes anglosächsische Gedicht noch existiert haben, denn augenscheinlich ward dasselbe von einem französischen Poeten, dem Troubadour Rutebœuf, fast wörtlich nachgeahmt und als ein mystère in Frankreich aufs Theater gebracht. Für diejenigen, denen die Sammlung von Monmerqué, worin auch dieses mystère abgedruckt, nicht zugänglich ist, bemerke ich, daß der gelehrte Magnin vor etwa sieben Jahren im »Journal des savants« über das erwähnte mystère hinlänglich Auskunft gibt. Dieses Mysterium vom Troubadour Rutebœuf benutzte nun der englische Dichter Marlowe, als er seinen »Faust« schrieb, indem er die analoge Sage vom deutschen Zauberer Faust nach dem älteren Faustbuche, wovon es bereits eine englische Übersetzung gab, in die dramatische Form kleidete, die ihm das französische, auch in England bekannte Mysterium bot. Das Mysterium des Theophilus und das ältere Volksbuch vom Faust sind also die beiden Faktoren, aus welchen das Marlowesche Drama hervorgegangen. Der Held desselben ist nicht mehr ein ruchloser Rebell gegen den Himmel, der, verführt von einem Zauberer und um irdische Güter zu gewinnen, seine Seele dem Teufel verschreibt, aber endlich durch die Gnade der Muttergottes, die den Pakt aus der Hölle zurückholt, gerettet wird, gleich dem Theophilus, sondern der Held des Stücks ist hier selbst ein Zauberer; in ihm, wie im Nekromanten des Faustbuchs, resümieren sich die Sagen von allen früheren Schwarzkünstlern, deren Künste er vor den höchsten Herrschaften produziert, und zwar geschieht solches auf protestantischem Boden, den die rettende Muttergottes nicht betreten darf, weshalb auch der Teufel den Zauberer holt ohne Gnade und Barmherzigkeit. Die Puppenspieltheater, die zur Shakespeareschen Zeit in London florierten und sich eines jeden Stückes, das auf den großen Bühnen Glück machte, gleich bemächtigten, haben gewiß auch nach dem Marloweschen Vorbilde einen »Faust« zu geben gewußt, indem sie das Originaldrama mehr oder minder ernsthaft parodierten oder ihren Lokalbedürfnissen gemäß zustutzten oder auch, wie oft geschah, von dem Verfasser selbst für den Standpunkt ihres Publikums umarbeiten ließen. Es ist nun jener Puppenspiel-Faust, der von England herüber nach dem Festland kam, durch die Niederlande reisend, auch die Marktbuden unserer Heimat besuchte und, in derb deutscher Maulart übersetzt und mit deutschen Hanswurstiaden verballhornt, die unteren Schichten des deutschen Volkes ergötzte. Wie verschieden auch die Versionen, die sich im Laufe der Zeit, besonders durch das Improvisieren, gebildet, so blieb doch das Wesentliche unverändert, und einem solchen Puppenspiele, das Wolfgang Goethe in einem Winkeltheater zu Straßburg aufführen sah, hat unser großer Dichter die Form und den Stoff seines Meisterwerks entlehnt. In der ersten Fragmentausgabe des Goetheschen »Faustes« ist dieses am sichtbarsten; diese entbehrt noch die der »Sakontola« entnommene Einleitung und einen dem Hiob nachgebildeten Prolog, sie weicht noch nicht ab von der schlichten Puppenspielform, und es ist kein wesentliches Motiv darin enthalten, welches auf eine Kenntnis der älteren Originalbücher von Spieß und Widmann schließen läßt.
    Das ist die Genesis der Faustfabel, von dem Theophilus-Gedichte bis auf Goethe, der sie zu ihrer jetzigen Popularität erhoben hat. – Abraham zeugte den Isaak, Isaak zeugte den Jakob, Jakob aber zeugte den Juda, in dessen Händen das Zepter ewig bleiben wird. In der Literatur wie im Leben hat jeder Sohn einen Vater, den er aber freilich nicht immer kennt oder den er gar verleugnen möchte.
    Geschrieben zu Paris, den 1. Oktober 1851
Der Doktor Faust
    Ein Tanzpoem
    Du hast mich beschworen aus dem Grab
    Durch deinen Zauberwillen,
    Belebtest mich mit Wollustglut –
    Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.
    Preß deinen Mund an meinen Mund,
    Der Menschen Odem ist göttlich!
    Ich trinke deine Seele aus,
    Die Toten sind unersättlich.
Erster Akt
    Studierzimmer, groß, gewölbt, in gotischem Stil. Spärliche Beleuchtung. An den Wänden Bücherschränke, astrologische und alchimistische Gerätschaften (Welt- und Himmelskugel, Planetenbilder, Retorten und seltsame Gläser), anatomische

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