Sämtliche Werke
vorbeigehen lassen! Wie kostbar hätte er Raupach benutzen können als Tragödien-Rothschild, bei dem die königlichen Bühnen ihre Anleihen machen! Den Ödipus selbst, die Hauptperson seines Lustspiels, hätte er, durch einige Modifikationen in der Fabel des Stückes, ebenfalls besser benutzen können. Statt daß er ihn den Vater Lajus töten und die Mutter Jokaste heiraten ließ, hätte er es im Gegenteil so einrichten sollen, daß Ödipus seine Mutter tötet und seinen Vater heiratet. Das dramatische pDrastische in einem solchen Gedichte hätte einem Platen meisterhaft gelingen müssen, seine eigene Gefühlsrichtung wäre ihm dabei zustatten gekommen, er hätte manchmal, wie eine Nachtigall, nur die Regungen der eignen Brust zu besingen gebraucht, er hätte ein Stück geliefert, das, wenn der ghaselige Iffland noch lebte, gewiß in Berlin gleich einstudiert worden wäre und das man auch jetzt auf Privatbühnen geben würde. Ich kann mir nichts Vollendeteres denken als den Schauspieler Wurm in der Rolle eines solchen Ödipus. Er würde sich selbst übertreffen. Dann finde ich es auch nicht politisch vom Grafen, daß er in seinem Lustspiele versichert, er habe »wirklichen Witz«. Oder arbeitet er vielleicht auf den Überraschungseffekt, auf den Theatercoup, daß dadurch das Publikum beständig Witz erwarten und dieser am Ende doch nicht erscheinen soll? Oder will er vielmehr das Publikum aufmuntern, den Wirkl. Geh. Witz im Stücke zu suchen, und das Ganze wäre nur ein Blindekuhspiel, wo der Platensche Witz so schlau ist, sich nie ertappen zu lassen? Deshalb vielleicht ist auch das Publikum, das sonst bei Lustspielen zu lachen pflegt, bei der Lektüre des Platenschen Stücks so verdrießlich, es kann den versteckten Witz nicht finden, vergebens piept der versteckte Witz und piept immer lauter: »Hier bin ich! hier bin ich wirklich!« – vergebens, das Publikum ist dumm und macht ein ernsthaftes Gesicht. Ich aber, der ich weiß, wo der Witz steckt, habe herzlich gelacht, als ich von dem »gräflichen, herrschsüchtigen Dichter« las, der sich in einen aristokratischen Nimbus hüllt, der von sich rühmt, »daß jeder Hauch, der zwischen seine Zähne komme, eine Zermalmung sei«, und der zu allen deutschen Dichtern sagt:
»Ja, gleichwie Nero, wünscht’ ich euch nur
ein
Gehirn,
Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es –«
Der Vers ist schlecht. Der versteckte Witz aber besteht darin, daß der Graf eigentlich wünscht, wir wären alle lauter Neronen und er, im Gegenteil, unser einziger lieber Freund Pythagoras.
Vielleicht würde ich zum Besten des Grafen noch manchen anderen versteckten Witz hervorloben, doch da er mir in seinem »König Ödipus« das Liebste angegriffen – denn was könnte mir lieber sein als mein Christentum? –, so ist es mir nicht zu verdenken, wenn ich, menschlich gesinnt, den »Ödipus«, diese »große Tat in Worten«, minder ernstlich als die früheren Tätigkeiten würdige.
Indessen das wahre Verdienst hat immer seinen Lohn gefunden, und dem Verfasser des »Ödipus« wird der seinige nicht entgehen, obgleich er sich auch hier, wie immer, nur dem Einfluß seiner adeligen und geistlichen Hintersassen hingab. Ja, es geht eine uralte Sage unter den Völkern des Orients und Okzidents, daß jede gute oder böse Tat ihre nächsten Folgen habe für den Täter. Und kommen wird der Tag, wo sie kommen – mach dich darauf gefaßt, lieber Leser, daß ich jetzt etwas in Pathos gerate und schauerlich werde –, kommen wird der Tag, wo sie dem Tartaros entsteigen, die furchtbaren Töchter der Nacht, »die Eumeniden«. Beim Styx! – bei diesem Flusse schwören wir Götter niemals falsch –, kommen wird der Tag, wo sie erscheinen, die dunkeln, urgerechten Schwestern, sie werden erscheinen mit schlangengelockten, roterzürnten Gesichtern, mit denselben Schlangengeißeln, womit sie einst den Orestes gegeißelt, den unnatürlichen Sünder, der die Mutter gemordet, die tyndaridische Klytämnestra. Vielleicht hört der Graf schon jetzt die Schlangen zischen – ich bitte dich, lieber Leser, denk dir jetzt die Wolfsschlucht und Samielmusik – Vielleicht erfaßt den Grafen schon jetzt das geheime Sündergrauen, der Himmel verdüstert sich, Nachtgevögel kreischt, ferne Donner rollen, es blitzt, es riecht nach Kolophonium – Wehe! Wehe! die erlauchten Ahnen steigen aus den Gräbern, sie rufen noch drei- bis viermal Wehe! Wehe! über den kläglichen Enkel, sie beschwören ihn, ihre alten Eisenhosen
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