Sämtliche Werke
die Katholiken verfolgt werden. Verfolgung der Andersdenkenden ist überall das Monopol der Geistlichkeit, und auch die anglikanische Kirche behauptet streng ihre Rechte. Freilich, die Zehnten sind ihr die Hauptsache, sie würde durch die Emanzipation der Katholiken einen großen Teil ihres Einkommens verlieren, und Aufopferung eigener Interessen ist ein Talent, das den Priestern der Liebe ebensosehr abgeht wie den sündigen Laien. Dazu kommt noch, daß jene glorreiche Revolution, welcher England die meisten seiner jetzigen Freiheiten verdankt, aus religiösem, protestantischem Eifer hervorgegangen, ein Umstand, der den Engländern gleichsam noch besondere Pflichten der Dankbarkeit gegen die herrschende protestantische Kirche auferlegt und sie diese als das Hauptbollwerk ihrer Freiheit betrachten läßt. Manche ängstliche Seelen unter ihnen mögen wirklich den Katholizismus und dessen Wiedereinführung fürchten und an die Scheiterhaufen von Smithfield denken – und ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Auch gibt es ängstliche Parlamentsglieder, die ein neues Pulverkomplott befürchten – diejenigen fürchten das Pulver am meisten, die es nicht erfunden haben –, und da wird es ihnen oft, als fühlten sie, wie die grünen Bänke, worauf sie in der St.-Stephans-Kapelle sitzen, allmählich warm und wärmer werden, und wenn irgendein Redner, wie oft geschieht, den Namen Guy Fawkes erwähnt, rufen sie ängstlich: »Hear him! hear him!« Was endlich den Rektor von Göttingen betrifft, der in London eine Anstellung als König von England hat, so kennt jeder seine Mäßigkeitspolitik: er erklärt sich für keine der beiden Parteien, er sieht gern, daß sie sich bei ihren Kämpfen wechselseitig schwächen, er lächelt nach herkömmlicher Weise, wenn sie friedlich bei ihm couren, er weiß alles und tut nichts und verläßt sich im schlimmsten Fall auf seinen Oberschnurren Wellington.
Man verzeihe mir, daß ich in flipprigem Tone eine Streitfrage behandle, von deren Lösung das Wohl Englands und daher vielleicht mittelbar das Wohl der Welt abhängt. Aber eben, je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muß man ihn behandeln; das blutige Gemetzel der Schlachten, das schaurige Sichelwetzen des Todes wäre nicht zu ertragen, erklänge nicht dabei die betäubende türkische Musik mit ihren freudigen Pauken und Trompeten. Das wissen die Engländer, und daher bietet ihr Parlament auch ein heiteres Schauspiel des unbefangensten Witzes und der witzigsten Unbefangenheit; bei den ernsthaftesten Debatten, wo das Leben von Tausenden und das Heil ganzer Länder auf dem Spiel steht, kommt doch keiner von ihnen auf den Einfall, ein deutsch-steifes Landständegesicht zu schneiden oder französisch-pathetisch zu deklamieren, und wie ihr Leib, so gebärdet sich alsdann auch ihr Geist ganz zwanglos, Scherz, Selbstpersiflage, Sarkasmen, Gemüt und Weisheit, Malice und Güte, Logik und Verse sprudeln hervor im blühendsten Farbenspiel, so daß die Annalen des Parlaments uns noch nach Jahren die geistreichste Unterhaltung gewähren. Wie sehr kontrastieren dagegen die öden, ausgestopften, löschpapiernen Reden unserer süddeutschen Kammern, deren Langweiligkeit auch der geduldigste Zeitungsleser nicht zu überwinden vermag, ja deren Duft schon einen lebendigen Leser verscheuchen kann, so daß wir glauben müssen, jene Langweiligkeit sei geheime Absicht, um das große Publikum von der Lektüre jener Verhandlungen abzuschrecken und sie dadurch trotz ihrer Öffentlichkeit dennoch im Grunde ganz geheimzuhalten.
Ist also die Art, wie die Engländer im Parlamente die katholische Streitfrage abhandeln, wenig geeignet, ein Resultat hervorzubringen, so ist doch die Lektüre dieser Debatten um so interessanter, weil Fakta mehr ergötzen als Abstraktionen, und gar besonders amüsant ist es, wenn fabelgleich irgendeine Parallelgeschichte erzählt wird, die den gegenwärtigen, bestimmten Fall witzig persifliert und dadurch vielleicht am glücklichsten illustriert. Schon bei den Debatten über die Thronrede, am 3. Februar 1825, vernahmen wir im Oberhause eine jener Parallelgeschichten, wie ich sie oben bezeichnet und die ich wörtlich hierhersetze (vid. Parliamentary history and review during the session of 1825 – 1826. Pag. 31):
»Lord King bemerkte, daß, wenn auch England blühend und glücklich genannt werden könne, so befänden sich doch sechs Millionen Katholiken in einem ganz andern Zustande, jenseits des irländischen Kanals, und die
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