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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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schier brechen vor unnennbarem Jammer, vergebens will sie den toten Vater festhalten; er schwimmt ruhig weiter nach Ägypten, nach seinem heimatlichen Wunderland, wo man seiner Ankunft harrt, um ihn in einer der großen Pyramiden nach Würden zu begraben. Rührend ist das Totenmahl, womit das arme Kind den verstorbenen Vater ehrt; sie legt ihren weißen Schleier über einen Feldstein, und darauf stellt sie Speis’, und Trank, welches sie feierlich genießt. Tief rührend ist alles, was uns der vortreffliche Arnim von den Zigeunern erzählt, denen er schon an anderen Orten sein Mitleid gewidmet, z.B. in seiner Nachrede zum »Wunderhorn«, wo er behauptet, daß wir den Zigeunern soviel Gutes und Heilsames, namentlich die mehrsten unserer Arzneien, verdanken. Wir hätten sie mit Undank verstoßen und verfolgt. Mit all ihrer Liebe, klagt er, hätten sie bei uns keine Heimat erwerben können. Er vergleicht sie in dieser Hinsicht mit den kleinen Zwergen, wovon die Sage erzählt, daß sie alles herbeischafften, was sich ihre großen, starken Feinde zu Gastmählern wünschten, aber einmal für wenige Erbsen, die sie aus Not vom Felde ablasen, jämmerlich geschlagen und aus dem Lande gejagt wurden. Das war nun ein wehmütiger Anblick, wie die armen kleinen Menschen nächtlich über die Brücke wegtrappelten, gleich einer Schafherde, und jeder dort ein Münzchen niederlegen mußte, bis sie ein Faß damit füllten.
    Eine Übersetzung der erwähnten Novelle »Isabella von Ägypten« würde den Franzosen nicht bloß eine Idee von Arnims Schriften geben, sondern auch zeigen, daß all die furchtbaren, unheimlichen, grausigen und gespenstischen Geschichten, die sie sich in der letzten Zeit gar mühsam abgequält, in Vergleichung mit Arnimschen Dichtungen nur rosige Morgenträume einer Operntänzerin zu sein scheinen. In sämtlichen französischen Schauergeschichten ist nicht soviel Unheimliches zusammengepackt wie in jener Kutsche, die Arnim von Brake nach Brüssel fahren läßt und worin folgende vier Personnagen beieinandersitzen:
    1. Eine alte Zigeunerin, welche zugleich Hexe ist. Sie sieht aus wie die schönste von den sieben Todsünden und strotzt im buntesten Goldflitter- und Seidenputz.
    2. Ein toter Bärenhäuter, welcher, um einige Dukaten zu verdienen, aus dem Grabe gestiegen und sich auf sieben Jahr als Bedienter verdingt. Es ist ein fetter Leichnam, der einen Oberrock von weißem Bärenfell trägt, weshalb er auch Bärenhäuter genannt wird, und der dennoch immer friert.
    3. Ein Golem; nämlich eine Figur von Lehm, welche ganz wie ein schönes Weib geformt ist und wie ein schönes Weib sich gebärdet. Auf der Stirn, verborgen unter den schwarzen Locken, steht mit hebräischen Buchstaben das Wort »Wahrheit«, und wenn man dieses auslischt, fällt die ganze Figur wieder leblos zusammen, als eitel Lehm.
    4. Der Feldmarschall Cornelius Nepos, welcher durchaus nicht mit dem berühmten Historiker dieses Namens verwandt ist, ja welcher sich nicht einmal einer bürgerlichen Abkunft rühmen kann, indem er von Geburt eigentlich eine Wurzel ist, eine Alraunwurzel, welche die Franzosen Mandragora nennen. Diese Wurzel wächst unter dem Galgen, wo die zweideutigsten Tränen eines Gehenkten geflossen sind. Sie gab einen entsetzlichen Schrei, als die schöne Isabella sie dort um Mitternacht aus dem Boden gerissen. Sie sah aus wie ein Zwerg, nur daß sie weder Augen, Mund noch Ohren hatte. Das liebe Mädchen pflanzte ihr ins Gesicht zwei schwarze Wacholderkerne und eine rote Hagebutte, woraus Augen und Mund entstanden. Nachher streute sie dem Männlein auch ein bißchen Hirse auf den Kopf, welches als Haar, aber etwas struppig, in die Höhe wuchs. Sie wiegte das Mißgeschöpf in ihren weißen Armen, wenn es wie ein Kind greinte; mit ihren holdseligen Rosenlippen küßte sie ihm das Hagebuttmaul ganz schief; sie küßte ihm vor Liebe fast die Wacholderäuglein aus dem Kopf; und der garstige Knirps wurde dadurch so verzogen, daß er am Ende Feldmarschall werden wollte und eine brillante Feldmarschalluniform anzog und sich durchaus »Herr Feldmarschall« titulieren ließ.
    Nicht wahr, das sind vier sehr ausgezeichnete Personen? Wenn ihr die Morgue, die Totenacker, die Cour de miracle und sämtliche Pesthöfe des Mittelalters ausplündert, werdet ihr doch keine so gute Gesellschaft zusammenbringen wie jene, die in einer einzigen Kutsche von Brake nach Brüssel fuhr. Ihr Franzosen solltet doch endlich einsehen, daß das Grauenhafte nicht

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