Sämtliche Werke
diesjährigen Ausstellung wenig Begeisterung zu erregen vermochte, hat die Skulptur sich um so glänzender gezeigt, und sie lieferte Werke, worunter viele zu den höchsten Hoffnungen berechtigten und eins sogar mit den besten Erzeugnissen dieser Kunst wetteifern konnte. Es ist der Kain des Herren Etex. Es ist eine Gruppe von symmetrischer, ja monumentaler Schönheit, voll antediluvianischem Charakter und doch zugleich voller Zeitbedeutung. Kain mit Weib und Kind, schicksalergeben, gedankenlos brütend, eine Versteinerung trostloser Ruhe. Dieser Mann hat seinen Bruder getötet, infolge eines Opferzwistes, eines Religionstreits. Ja, die Religion hat den ersten Brudermord verursacht, und seitdem trägt sie das Blutzeichen auf der Stirne.
Ich werde auf den Kain von Etex späterhin zurückkommen, wenn ich von dem außerordentlichen Aufschwung zu reden habe, den wir in unserer Zeit bei den Bildhauern noch weit mehr als bei den Malern bemerken. Der Spartakus und der Theseus, welche beide jetzt im Tuileriengarten aufgestellt sind, erregen jedesmal, wenn ich dort spazierengehe, meine nachdenkende Bewunderung. Nur schmerzt es mich zuweilen, wenn es regnet, daß solche Meisterstücke unserer modernen Kunst so ganz und gar der freien Luft ausgesetzt stehn. Der Himmel ist hier nicht so milde wie in Griechenland, und auch dort standen die besseren Werke nie so ganz ungeschützt gegen Wind und Wetter, wie man gewöhnlich meint. Die besseren waren wohlgeschirmt, meistens in Tempeln. Bis jetzt hat jedoch die Witterung den neuen Statuen in den Tuilerien wenig geschadet, und es ist ein heiterer Anblick, wenn sie blendend weiß aus dem frischgrünen Kastanienlaub hervorgrüßen. Dabei ist es hübsch anzuhören, wenn die Bonnen den kleinen Kindern, die dort spielen, manchmal erklären, was der marmorne nackte Mann bedeutet, der so zornig sein Schwert in der Hand hält, oder was das für ein sonderbarer Kauz ist, der auf seinem menschlichen Leib einen Ochsenkopf trägt und den ein anderer nackter Mann mit einer Keule niederschlägt; der Ochsenmensch, sagen sie, hat viele kleine Kinder gefressen. Junge Republikaner, die vorübergehn, pflegen auch wohl zu bemerken, daß der Spartakus sehr bedenklich nach den Fenstern der Tuilerien hinaufschielt, und in der Gestalt des Minotaurus sehen sie das Königtum. Andere Leute tadeln auch wohl an dem Theseus die Art, wie er die Keule schwingt, und sie behaupten: wenn er damit zuschlüge, würde er unfehlbar sich selber die Hand zerschmettern. Dem sei aber, wie ihm wolle; bis jetzt sieht das alles noch sehr gut aus. Jedoch nach einigen Wintern werden diese vortrefflichen Statuen schon verwittert und brüchig sein, und Moos wächst dann an dem Schwerte des Spartakus, und friedliche Insektenfamilien nisten zwischen dem Ochsenkopfe des Minotaurus und der Keule des Theseus, wenn diesem nicht gar unterdessen die Hand mitsamt der Keule abgebrochen ist.
Da hier doch soviel unnützes Militär gefüttert werden muß, so sollte der König in den Tuilerien neben jeder Statue eine Schildwache stellen, die, wenn es regnet, einen Regenschirm darüber ausspannt. Unter dem bürgerköniglichen Regenschirm würde dann im wahren Sinne des Wortes die Kunst geschützt sein.
Allgemein ist die Klage der Künstler über die allzu große Sparsamkeit des Königs. Als Herzog von Orleans, heißt es, habe er die Künste eifriger beschützt. Man murrt, er bestelle verhältnismäßig zuwenig Bilder und zahle dafür verhältnismäßig zuwenig Geld. Er ist jedoch, mit Ausnahme des Königs von Bayern, der größte Kunstkenner unter den Fürsten. Sein Geist ist vielleicht jetzt zu sehr politisch befangen, als daß er sich mit Kunstsachen so eifrig wie ehemals beschäftigen könnte. Wenn aber seine Vorliebe für Malerei und Skulptur etwas abgekühlt, so hat sich seine Neigung für Architektur fast bis zur Wut gesteigert. Nie ist in Paris soviel gebaut worden, wie jetzt auf Betrieb des Königs geschieht. Überall Anlagen zu neuen Bauwerken und ganz neuen Straßen. An den Tuilerien und dem Louvre wird beständig gehämmert. Der Plan zu den neuen Bibliothek ist das Großartigste, was sich denken läßt. Die Magdalenenkirche, der alte Tempel des Ruhms, ist seiner Vollendung nahe. An dem großen Gesandtschaftspalaste, den Napoleon an der rechten Seite der Seine aufführen wollte und der nur zur Hälfte fertig geworden, so daß er wie Trümmer einer Riesenburg aussieht, an diesem ungeheuren Werke wird jetzt weitergebaut. Dabei erheben sich
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