Sämtliche Werke
ist der Einäugige König, und unter unseren schlechten Lustspieldichtern ist Raupach der beste. Wenn ich schlechte Lustspieldichter sage, so will ich nur von jenen armen Teufeln reden, die ihre Machwerke unter dem Titel Lustspiele aufführen lassen oder, da sie meistens Komödianten sind, selber aufführen. Aber diese sogenannten Lustspiele sind eigentlich nur prosaische Pantomimen mit traditionellen Masken: Väter, Bösewichter, Hofräte, Chevaliers, der Liebhaber, die Liebende, die Soubrette, Mütter, oder wie sie sonst benannt werden in den Kontrakten unserer Schauspieler, die nur zu dergleichen feststehenden Rollen, nach herkömmlichen Typen, abgerichtet sind. Gleich der italienischen Maskenkomödie ist unser deutsches Lustspiel eigentlich nur ein einziges, aber unendlich variiertes Stück. Die Charaktere und Verhältnisse sind gegeben, und wer ein Talent zu Kombinationsspielen besitzt, unternimmt die Zusammensetzung dieser gegebenen Charaktere und Verhältnisse und bildet daraus ein scheinbar neues Stück, ungefähr nach demselben Verfahren, wie man im chinesischen Puzzlespiel mit einer bestimmten Anzahl verschiedenartig ausgeschnittener Holzblättchen allerlei Figuren kombiniert. Mit diesem Talente sind oft die unbedeutendsten Menschen begabt, und vergebens strebt danach der wahre Dichter, der seinen Genius nur frei zu bewegen und nur lebende Gestalten, keine konstruierten Holzfiguren, zu schaffen weiß. Einige wahre Dichter, welche sich die undankbare Mühe gaben, deutsche Lustspiele zu schreiben, schufen einige neue komische Masken; aber da gerieten sie in Kollision mit den Schauspielern, welche, nur zu den schon vorhandenen Masken dressiert, um ihre Ungelehrigkeit oder Lernfaulheit zu beschönigen, gegen die neuen Stücke so wirksam kabalierten, daß sie nicht aufgeführt werden konnten.
Vielleicht liegt dem Urteil, das mir eben über die Werke des Dr. Raupach entfallen ist, ein geheimer Unmut gegen die Person des Verfassers zum Grunde. Der Anblick dieses Mannes hat mich einst zittern gemacht, und, wie Sie wissen, das verzeiht kein Fürst. Sie sehen mich mit Befremden an, Sie finden den Dr. Raupach gar nicht so furchtbar und sind auch nicht gewohnt, mich vor einem lebenden Menschen zittern zu sehen? Aber es ist dennoch der Fall, ich habe vor dem Dr. Raupach einst eine solche Angst empfunden, daß meine Knie zu schlottern und meine Zähne zu klappern begonnen. Ich kann, neben dem Titelblatt der dramatischen Werke von Ernst Raupach, das gestochene Gesicht des Verfassers nicht betrachten, ohne daß mir noch jetzt das Herz in der Brust bebt… Sie sehen mich mit großem Erstaunen an, teurer Freund, und ich höre auch neben Ihnen eine weibliche Stimme, welche neugierig fleht: »Ich bitte, erzählen Sie…«
Doch das ist eine lange Geschichte, und dergleichen heute zu erzählen, dazu fehlt mir die Zeit. Auch werde ich an zu viele Dinge, die ich gerne vergäße, bei dieser Gelegenheit erinnert, z.B. an die trüben Tage, die ich in Potsdam zubrachte, und an den großen Schmerz, der mich damals in die Einsamkeit bannte. Ich spazierte dort mutterseelallein, in dem verschollenen Sanssouci, unter den Orangenbäumen der großen Rampe… Mein Gott, wie unerquicklich, poesielos sind diese Orangenbäume! Sie sehen aus wie verkleidete Eichbüsche, und dabei hat jeder Baum seine Nummer, wie ein Mitarbeiter am Brockhausischen »Konversationsblatte«, und diese numerierte Natur hat etwas so pfiffig Langweiliges, so korporalstöckig Gezwungenes! Es wollte mich immer bedünken, als schnupften sie Tabak, diese Orangenbäume, wie ihr seliger Herr, der Alte Fritz, welcher, wie Sie wissen, ein großer Heros gewesen, zur Zeit, als Ramler ein großer Dichter war. Glauben Sie beileibe nicht, daß ich den Ruhm Friedrichs des Großen zu schmälern suche! Ich erkenne sogar seine Verdienste um die deutsche Poesie. Hat er nicht dem Gellert einen Schimmel und der Madame Karschin fünf Taler geschenkt? Hat er nicht, um die deutsche Literatur zu fördern, seine eignen schlechten Gedichte in französischer Sprache geschrieben? Hätte er sie in deutscher Sprache herausgegeben, so konnte sein hohes Beispiel einen unberechenbaren Schaden stiften! Die deutsche Muse wird ihm diesen Dienst nie vergessen.
Ich befand mich, wie gesagt, zu Potsdam nicht sonderlich heiter gestimmt, und dazu kam noch, daß der Leib mit der Seele eine Wette einging, wer von beiden mich am meisten quälen könne. Ach! der psychische Schmerz ist leichter zu ertragen als
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