Sämtliche Werke
daß sie sich in der Hitze des Kampfes einander die Köpfe abgeschlagen haben und jetzt, ohne ihre beiderseitige Kopflosigkeit zu bemerken, weiterfechten. –
Die Blütezeit der parlamentarischen Periode waren das Ministerium vom 1. März 1840 und die ersten Jahre des Ministeriums vom 29. November 1840. Ersteres mag für den Deutschen noch ein besonderes Interesse bewahren, weil damals Thiers unser Vaterland in die große Bewegung hineintrommelte, welche das politische Leben Deutschlands weckte Thiers brachte uns wieder als Volk auf die Beine, und dieses Verdienst wird ihm die deutsche Geschichte hoch anrechnen. Auch der Erisapfel der orientalischen Frage kommt unter jenem Ministerium bereits zum Vorschein, und wir sehen im grellsten Lichte den Egoismus jener britischen Oligarchie, die uns damals gegen die Franzosen verhetzte. Daß das aufrichtige und großmütige, bis zur Fanfaronade großmütige Frankreich unser natürlicher und wahrhaft sicherster Alliierter ist, war die Überzeugung meines ganzen Lebens, und das patriotische Bedürfnis, meine verblendeten Landsleute über den treulosen Blödsinn der Franzosenfresser und Rheinliedbarden aufzuklären, hat vielleicht meinen Berichten über das Ministerium Thiers manchmal, namentlich in bezug auf die Engländer, ein allzu leidenschaftliches Kolorit erteilt; aber die Zeit war eine höchst gefährliche, und Schweigen war ein halber Verrat.
Bis zur Katastrophe vom 24. Februar gehen nicht meine Pariser Berichte, aber man sieht schon auf jeder Seite ihre Notwendigkeit, und sie wird beständig vorausgesagt mit jenem prophetischen Schmerz, den wir in dem alten Heldenliede finden, wo Trojas Brand nicht den Schluß bildet, aber in jedem Verse geheimnisvoll knistert. Ich habe nicht das Gewitter, sondern die Wetterwolken beschrieben, die es in ihrem Schoße trugen und schauerlich düster heranzogen. Ich berichtete oft und bestimmt über die Dämonen, welche in den untern Schichten der Gesellschaft lauerten und aus ihrer Dunkelheit hervorbrechen würden, wenn der rechte Tag gekommen. Diese Ungetüme, denen die Zukunft gehört, betrachtete man damals nur durch ein Verkleinerungsglas, und da sahen sie wirklich aus wie wahnsinnige Flöhe – aber ich zeigte sie in ihrer wahren Lebensgröße, und da glichen sie vielmehr den furchtbarsten Krokodilen, welche jemals aus dem Schlamm gestiegen. –
Um die betrübsamen Berichterstattungen zu erheitern, verwob ich sie mit Schilderungen aus dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft, aus den Tanzsälen der guten und der schlechten Sozietät, und wenn ich unter solchen Arabesken manche allzu närrische Virtuosenfratze gezeichnet, so geschah es nicht, um irgendeinem längst verschollenen Biedermann des Pianoforte oder der Maultrommel ein Herzeleid zuzufügen, sondern um das Bild der Zeit selbst in seinen kleinsten Nuancen zu liefern. Ein ehrliches Daguerreotyp muß eine Fliege ebensogut wie das stolzeste Pferd treu wiedergeben, und meine Berichte sind ein daguerreotypisches Geschichtsbuch, worin jeder Tag sich selber abkonterfeite, und durch die Zusammenstellung solcher Bilder hat der ordnende Geist des Künstlers ein Werk geliefert, worin das Dargestellte seine Treue authentisch durch sich selbst dokumentiert. Mein Buch ist daher zugleich ein Produkt der Natur und der Kunst, und während es jetzt vielleicht den populären Bedürfnissen der Leserwelt genügt, kann es auf jeden Fall dem späteren Historiographen als eine Geschichtsquelle dienen, die, wie gesagt, die Bürgschaft ihrer Tageswahrheit in sich trägt. Man hat in solcher Beziehung bereits meinen »Französischen Zuständen«, welche denselben Charakter tragen, die größte Anerkennung gezollt, und die französische Übersetzung wurde von historienschreibenden Franzosen vielfach benutzt. Ich erwähne dieses alles, damit ich für mein Werk ein solides Verdienst vindiziere und der Leser um so nachsichtiger sein möge, wenn er darin wieder jenen frivolen Esprit bemerkt, den unsre kerndeutschen, ich möchte sagen eicheldeutschen Landsleute auch dem Verfasser der »Briefe eines Verstorbenen« vorgeworfen haben. Indem ich demselben mein Buch zueigne, kann ich wohl, in bezug auf den darin enthaltenen Esprit, heute von mir sagen, daß ich Eulen nach Athen bringe.
Aber wo befindet sich in diesem Augenblick der vielverehrte und vielteure Verstorbene? Wohin adressiere ich mein Buch? Wo ist er? Wo weilt er, oder vielmehr, wo galoppiert er, wo trottiert er? er, der romantische Anacharsis, der
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