Sämtliche Werke
deutschen Maulchristen, die das Gegenteil predigen und üben.
Ich rede zuviel, jedenfalls mehr, als mir das Halsübel, woran ich jetzt leide, so wie auch die Klugheit erlauben möchten. Daher nur noch ein paar Worte zum Schluß. Ich habe über die Hindernisse, unter welchen die Briefe der Lutetia abgefaßt wurden, vielleicht Hinreichendes angedeutet. Außer den örtlichen hatte ich auch, wie oben gesagt, mit zeitlichen Hindernissen zu kämpfen. Von diesen letztern wird der vernünftige Leser sich viel leichter einen Begriff machen können; er braucht nur das Datum jener Briefe ins Auge zu fassen und sich zu erinnern, daß zu jener Epoche eben die nationale oder sogenannte patriotische Partei, von welcher ich eben geredet, in Deutschland das große Wort führte, und der Schreiber dieser Blätter sehr vereinzelt, wie ein verlorener Posten inmitten der Feinde, eine sehr mißliche Stellung hatte. Die Julius-Revolution schob jene Partei etwas in den Hintergrund des politischen Lebens, aber die Fanfaren der französischen Presse von 1840 boten jener gallophoben Partei die beste Gelegenheit, sich wieder geltend zu machen; sie sangen ihr Rheinlied. Zur Zeit der Februarrevolution wurden sie überstimmt von rationalistischern Tönen, die aber bald verstummten, als die große europäische Reaktion eintrat; heute geben diese Vaterlandsretter wieder in Deutschland den Ton an, und brüllen mit allerhöchster Erlaubnis. Brüllt nur immerfort! Der Tag wird kommen, wo der fatale Fußtritt Euch zermalmt. Ich darf mich ohne Sorge zur Ruhe begeben.
Und nun, teurer Leser, hab’ ich soviel als möglich Dich in den Stand gesetzt, die Gewissenhaftigkeit und die Gedanken-Einheit dieses Buches zu beurteilen; ich grüße Dich mit Freundlichkeit, und sur ce, je prie Dieu qu’il t’ait en sa sainte et digne garde!
Paris, April 1855.
H.H.
Zueignungsbrief an Seine Durchlaucht, den Fürsten Pückler-Muskau
Die Reisenden, welche irgendeinen durch Kunst oder historische Erinnerung denkwürdigen Ort besuchen, pflegen hier an Mauern und Wänden ihre respektiven Namen zu inskribieren, mehr oder minder leserlich, je nachdem das Schreibmaterial war, das ihnen zu Gebote stand. Sentimentale Seelen sudeln hinzu auch einige pathetische Zeilen gereimter oder ungereimter Gefühle. In diesem Wust von Inschriften wird unsre Aufmerksamkeit plötzlich in Anspruch genommen von zwei Namen, die nebeneinander eingegraben sind; Jahrzahl und Monatstag steht darunter, und um Namen und Datum schlängelt sich ein ovaler Kreis, der einen Kranz von Eichen- oder Lorbeerblättern vorstellen soll. Sind den spätern Besuchern des Ortes die Personen bekannt, denen jene zwei Namen angehören, so rufen sie ein heiteres: »Sieh da!«, und sie machen dabei die tiefsinnige Bemerkung, daß jene beiden also einander nicht fremd gewesen, daß sie wenigstens einmal auf derselben Stelle einander nahegestanden, daß sie sich im Raum wie in der Zeit zusammengefunden, sie, die so gut zusammenpaßten. – Und nun werden über beide Glossen gemacht, die wir leicht erraten, aber hier nicht mitteilen wollen.
Indem ich, mein hochgefeierter und wahlverwandter Zeitgenosse, durch die Widmung dieses Buches gleichsam auf die Fassade desselben unsre beiden Namen inskribiere, folge ich nur einer heiter gaukelnden Laune des Gemütes, und wenn meinem Sinne irgendein bestimmter Beweggrund vorschwebt, so ist es allenfalls der oberwähnte Brauch der Reisenden. – Ja, Reisende waren wir beide auf diesem Erdball, das war unsre irdische Spezialität, und diejenigen, welche nach uns kommen und in diesem Buche den Kranz sehen, womit ich unsre beiden Namen umschlungen, gewinnen wenigstens ein authentisches Datum unsres zeitlichen Zusammentreffens, und sie mögen nach Belieben darüber glossieren, inwieweit der Verfasser der »Briefe eines Verstorbenen« und der Berichterstatter der »Lutetia« zusammenpaßten. –
Der Meister, dem ich dieses Buch zueigne, versteht das Handwerk und kennt die ungünstigen Umstände, unter welchen der Autor schrieb. Er kennt das Bett, in welchem meine Geisteskinder das Licht erblickten, das Augsburgische Prokrustesbett, wo man ihnen manchmal die allzu langen Beine und nicht selten sogar den Kopf abschnitt. Um unbildlich zu sprechen, das vorliegende Buch besteht zum größten Teil aus Tagesberichten, welche ich vor geraumer Zeit in der Augsburgischen »Allgemeinen Zeitung« drucken ließ. Von vielen hatte ich Brouillons zurückbehalten, wonach ich jetzt, bei dem neuen
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