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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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als andere Fürsten durch das heilige Öl von Reims geschmeidigt worden, immer mehr Fuchs als Löwe waren und einen mehr oder minder priesterlichen Charakter offenbarten. Zu der angelernten und überlieferten simulatio und dissimulatio gesellt sich noch eine natürliche Anlage bei Ludwig Philipp, so daß es fast unmöglich ist, durch die wohlwollende dicke Hülle, durch das lächelnde Fleisch, die geheimen Gedanken zu erspähen. Aber gelänge es auch, bis in die Tiefe des königlichen Herzens einen Blick zu werfen, so sind wir dadurch noch nicht weit gefördert, denn am Ende ist eine Antipathie oder Sympathie in bezug auf Personen nie der bestimmende Grund der Handlungen Ludwig Philipps, er gehorcht nur der Macht der Dinge (la force des choses), der Notwendigkeit. Alle subjektive Anregung weist er fast grausam zurück, er ist hart gegen sich selbst, und ist er auch kein Selbstherrscher, so ist er doch ein Beherrscher seiner selbst; er ist ein sehr objektiver König. Es hat daher wenig politische Bedeutung, ob er etwa den Guizot mehr liebt oder weniger als den Thiers; er wird sich des einen oder des andern bedienen, je nachdem er den einen oder andern nötig hat, nicht früher, nicht später. Ich kann daher wirklich nicht mit Gewißheit sagen, wer von diesen zwei Männern dem König am angenehmsten oder am unangenehmsten sei. Ich glaube, ihm mißfallen sie alle beide, und zwar aus Metierneid, weil er ebenfalls Minister ist, in ihnen seine beständigen Nebenbuhler sieht und am Ende fürchtet, man könnte ihnen eine größere politische Kapazität zutrauen als ihm selber. Man sagt, Guizot sage ihm mehr zu als Thiers, weil jener eine gewisse Unpopularität genießt, die dem Könige gefällt. Aber der puritanische Zuschnitt, der lauernde Hochmut, der doktrinäre Belehrungston, das eckig-kalvinistische Wesen Guizots kann nicht anziehend auf den König wirken. Bei Thiers stößt er auf die entgegengesetzten Eigenschaften, auf einen ungezügelten Leichtsinn, auf eine kecke Laune, auf eine Freimütigkeit, die mit seinem eigenen versteckten, krummlinichten, eingeschachtelten Charakter fast beleidigend kontrastiert und ihm also ebenfalls wenig behagen kann. Hierzu kommt, daß der König gern spricht, ja sogar sich gern in ein unendliches Schwatzen verliert, was sehr merkwürdig, da verstellungssüchtige Naturen gewöhnlich wortkarg sind. Gar bedeutend muß ihm deshalb ein Guizot mißfallen, der nie diskuriert, sondern immer doziert und endlich, wenn er seine Thesis bewiesen hat, die Gegenrede des Königs mit Strenge anhört und wohl gar dem Könige Beifall nickt, als habe er einen Schulknaben vor sich, der seine Lektion gut hersagt. Bei Thiers geht’s dem Könige noch schlimmer, der läßt ihn gar nicht zu Worten kommen, verloren in die Strömung seiner eigenen Rede. Das rieselt unaufhörlich, wie ein Faß, dessen Hahn ohne Zapfen, aber immer kostbarer Wein. Kein anderer kommt da zu Worte, und nur während er sich rasiert, ist man imstande bei Herrn Thiers ruhiges Gehör zu finden. Nur solange ihm das Messer an der Kehle ist, schweigt er und schenkt fremder Rede Gehör.
    Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß der König sich endlich entschließt, den Begehrnissen der Kammer nachgebend, Herrn Thiers mit der Bildung eines neuen Ministeriums zu beauftragen und ihm als Präsidenten des Konseils auch das Portefeuille der äußern Angelegenheiten anzuvertrauen. Das ist leicht vorauszusehen. Man dürfte aber mit großer Gewißheit prophezeien, daß das neue Ministerium nicht von langer Dauer sein wird und daß Herr Thiers selber eines frühen Morgens dem Könige eine gute Gelegenheit gibt, ihn wieder zu entfernen und Herrn Guizot an seine Stelle zu berufen. Herr Thiers, bei seiner Behendigkeit und Geschmeidigkeit, zeigt immer ein großes Talent, wenn es gilt, den mât de cocagne der Herrschaft zu erklettern, hinaufzurutschen; aber er bekundet ein noch größeres Talent des Wiederheruntergleitens, und wenn wir ihn ganz sicher auf dem Gipfel seiner Macht glauben, glitscht er unversehens wieder herab, so geschickt, so artig, so lächelnd, so genial, daß wir diesem neuen Kunststück schier applaudieren möchten. Herr Guizot ist nicht so geschickt im Erklimmen des glatten Mastes. Mit schwerfälliger Mühe zottelt er sich hinauf, aber wenn er oben einmal angelangt, klammert er sich fest mit der gewaltigen Tatze; er wird auf der Höhe der Gewalt immer länger verweilen als sein gelenkiger Nebenbuhler, ja wir möchten sagen, daß er aus

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