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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Unbeholfenheit nicht mehr herunterkommen kann und ein starkes Schütteln nötig sein wird, ihm das Herabpurzeln zu erleichtern. In diesem Augenblick sind vielleicht schon die Depeschen unterwegs, worin Ludwig Philipp den auswärtigen Kabinetten auseinandersetzt, wie er, durch die Gewalt der Dinge gezwungen, den ihm fatalen Thiers zum Minister nehmen muß, anstatt des Guizot, der ihm viel angenehmer gewesen wäre.
    Der König wird jetzt seine große Not haben, die Antipathie, welche die fremden Mächte gegen Thiers hegen, zu beschwichtigen. Dieses Buhlen nach dem Beifall der letztern ist eine törichte Idiosynkrasie. Er meint, daß von dem äußern Frieden auch die Ruhe seines Inlands abhänge, und er schenkt diesem nur geringe Aufmerksamkeit. Er, vor dessen Augenzwinkern alle Trajane, Titusse, Marc Aurele und Antonine dieser Erde, den Großmogul mit eingerechnet, zittern müßten, er demütigt sich vor ihnen wie ein Schulbub und jammert: »Schonet meiner! verzeiht mir, daß ich sozusagen den französischen Thron bestiegen, daß das tapferste und intelligenteste Volk, ich will sagen sechsunddreißig Millionen Unruhestifter und Gottesleugner, mich zu ihrem König gewählt haben. – Verzeiht mir, daß ich mich verleiten ließ, aus den verruchten Händen der Rebellen die Krone und die dazugehörigen Kronjuwelen in Empfang zu nehmen – ich war ein unerfahrenes Gemüt, ich hatte eine schlechte Erziehung genossen von Kind an, wo Frau von Genlis mich die Menschenrechte buchstabieren ließ – bei den Jakobinern, die mir den Ehrenposten eines Türstehers anvertrauten, habe ich auch nicht viel Gutes lernen können – ich wurde durch schlechte Gesellschaft verführt, besonders durch den Marquis de Lafayette, der aus mir die beste Republik machen wollte – ich habe mich aber seitdem gebessert, ich bereue meine jugendlichen Verirrungen, und ich bitte euch, verzeiht mir aus christlicher Barmherzigkeit – und schenket mir den Frieden!« Nein, so hat sich Ludwig Philipp nicht ausgedrückt, denn er ist stolz und edel und klug; aber das war doch immer der kurze Sinn seiner langen Reden und noch längern Briefe, deren Schriftzüge, als ich sie jüngst sah, mir höchst originell erschienen. Wie man gewisse Schriftzüge »Fliegenpfötchen« (pattes de mouche) nennt, so könnte man die Handschrift Ludwig Philipps »Spinnenbeine« benamsen; sie ähneln nämlich den hagerdünnen und schattenartig langen Beinen der sogenannten Schneiderspinnen, und die hochgestreckten und zugleich äußerst magern Buchstaben machen einen fabelhaft drolligen Eindruck.
    Selbst in der nächsten Umgebung des Königs wird seine Nachgiebigkeit gegen das Ausland getadelt; aber niemand wagt, irgendeine Rüge laut werden zu lassen. Dieser milde, gutmütige und hausväterliche Ludwig Philipp fordert im Kreise der Seinen einen ebenso blinden Gehorsam, wie ihn der wütendste Tyrann jemals durch die größten Grausamkeiten erlangen mochte. Ehrfurcht und Liebe fesselt die Zunge seiner Familie und Freunde; das ist ein Mißgeschick, und es könnten wohl Fälle eintreten, wo dem königlichen Einzelwillen irgendein Einspruch und sogar offener Widerspruch heilsam sein dürfte. Selbst der Kronprinz, der verständige Herzog von Orleans, beugt schweigend das Haupt vor dem Vater, obgleich er seine Fehler einsieht und traurige Konflikte, ja eine entsetzliche Katastrophe zu ahnen scheint. Er soll einst zu einem Vertrauten gesagt haben, er sehne sich nach einem Kriege, weil er lieber in den Wogen des Rheines als in einer schmutzigen Gosse von Paris sein Leben verlieren wolle. Der edle ritterliche Held hat melancholische Augenblicke und erzählt dann, wie seine Muhme, Madame d’Angoulème, die unguillotinierte Tochter Ludwigs des XVI., mit ihrer heiseren Rabenstimme ihm ein frühes Verderben prophezeit, als sie auf ihrer letzten Flucht während den Julitagen dem heimkehrenden Prinzen in der Nähe von Paris begegnete. Sonderbar ist es, daß der Prinz einige Stunden später in Gefahr geriet, von den Republikanern, die ihn gefangennahmen, füsiliert zu werden, und nur wie durch ein Wunder solchem Schicksal entging. Der Erbprinz ist allgemein geliebt, er hat alle Herzen gewonnen, und sein Verlust wäre der jetzigen Dynastie mehr als verderblich. Seine Popularität ist vielleicht ihre einzige Garantie. Aber er ist auch eine der edelsten und kostbarsten Blüten, die dem Boden Frankreichs, diesem »schönen Menschengarten«, entsprossen sind.
II
    Paris, den 1, März 1840
    Thiers steht

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