Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
Polizeipräfekt allen Theatern die Erlaubnis erteilt, die Marseiller Hymne zu spielen, und ich halte diesen Umstand nicht für unwichtig. Ich sehe darin ein Symptom, dem ich mehr Glauben schenke als allen kriegerischen Deklamationen der Ministerialblätter. Letztere stoßen in der Tat seit einigen Tagen so bedeutend in die Trompete Bellonas, daß man den Krieg als etwas Unvermeidliches zu betrachten schien. Die Friedfertigsten waren der Kriegsminister und der Marineminister; der Kampflustigste war der Minister des Unterrichts – ein wackerer Mann, der seit seiner Amtsführung selbst die Achtung seiner Feinde erworben und jetzt ebensoviel Tatkraft wie Begeisterung entfaltet, aber die Kriegskräfte Frankreichs gewiß nicht so gut zu beurteilen weiß wie der Marineminister und der Kriegsminister. Thiers hält allen die Waage und ist wirklich der Mann der Nationalität. Letztere ist ein großer Hebel in seinen Händen, und er hat von Napoleon gelernt, daß man die Franzosen damit noch weit gewaltiger bewegen kann als mit Ideen. Trotz seinem Nationalismus bleibt aber Frankreich der Repräsentant der Revolution, und die Franzosen kämpfen nur für diese, wenn sie sich selbst aus Eitelkeit, Eigennutz und Torheit schlagen. Thiers hat imperialistische Gelüste, und wie ich Ihnen schon Ende Julius schrieb, der Krieg ist die Freude seines Herzens. Jetzt ist der Fußboden seines Arbeitzimmers ganz mit Landkarten bedeckt, und da liegt er auf dem Bauche und steckt schwarze und grüne Nadeln ins Papier, ganz wie Napoleon. Daß er an der Börse spekuliert habe, ist eine schnöde Verleumdung; ein Mensch kann nur einer einzigen Leidenschaft gehorchen, und der Ehrgeizige denkt selten an Geld. Durch seine Familiarität mit gesinnungslosen Glücksrittern hat sich Thiers all die boshaften Gerüchte, die an seinem Leumund nagen, selber zugezogen. Diese Leute, wenn er ihnen jetzt den Rücken kehrt, schmähen ihn noch mehr als seine politischen Feinde. Aber warum pflegte er Umgang mit solchem Gesindel? Wer sich mit Hunden niederlegt, steht mit Flöhen auf.
    Ich bewundere den Mut des Königs; jede Stunde, wo er zögert, dem verletzten Nationalgefühl Genugtuung zu schaffen, wächst die Gefahr, die den Thron noch entsetzlicher bedroht als alle Kanonen der Alliierten. Morgen, heißt es, sollen die Ordonnanzen publiziert werden, welche die Kammern berufen und Frankreich in Kriegszustand (état de guerre) erklären. Gestern abend, auf der Nachtbörse von Tortoni, hieß es, Lalande habe Befehl erhalten, nach der Straße von Gibraltar zu eilen und der russischen Flotte, wenn sie sich mit der englischen vereinigen wolle, den Durchgang ins Mittelländische Meer zu wehren. Die Rente, welche am Tage schon zwei Prozent gefallen war, purzelte noch zwei Prozent tiefer. Herr v. Rothschild, wird behauptet, hatte gestern Zahnschmerz; andre sagen Kolik. Was wird daraus werden? Das Gewitter zieht immer näher. In den Lüften vernimmt man schon den Flügelschlag der Walküren.
XXIII
    Paris, 29. Oktober 1840
    Thiers geht ab, und Guizot tritt wieder auf. Es ist aber dasselbe Stück, und nur die Akteure wechseln. Dieser Rollenwechsel geschah auf Verlangen sehr vieler hohen und allerhöchsten Personen, nicht des gewöhnlichen Publikums, das mit dem Spiel seines ersten Helden sehr zufrieden war. Dieser buhlte vielleicht etwas zu sehr um den Beifall des Parterres; sein Nachfolger hat mehr die höhern Regionen im Auge, die Gesandtenlogen.
    In diesem Augenblick versagen wir nicht unser Mitleid dem Manne, der unter den jetzigen Umständen in das Hôtel des Capucines seinen Einzug hält; er ist viel mehr zu bedauern als derjenige, der dieses Marterhaus oder Drillbaus verläßt. Er ist fast ebenso zu bedauern wie der König selber; auf diesen schießt man, den Minister verleumdet man. Mit wieviel Kot bewarf man Thiers während seines Ministeriums! Heute bezieht er wieder sein kleines Haus auf der Place Saint-George, und ich rate ihm, gleich ein Bad zu nehmen. Hier wird er sich wieder seinen Freunden in fleckenloser Größe zeigen, und wie vor vier Jahren, als er in derselben plötzlichen Weise das Ministerium verließ, wird jeder einsehen, daß seine Hände rein geblieben sind und sein Herz nicht eingeschrumpft. Er ist nur etwas ernsthafter geworden, obgleich der wahre Ernst ihm nie fehlte und sich, wie bei Cäsar, unter leichten Lebensformen verbarg. Die Beschuldigung der Forfanterie, die man in der letzten Zeit am öftesten gegen ihn vorbrachte, widerlegt er eben durch

Weitere Kostenlose Bücher