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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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aber man darf nicht überschwengliche Sympathien daraus herleiten. Thiers liebt zunächst das Vaterland, und ich glaube, er würde diesem Gefühle alle mütterlichen Interessen aufopfern. Sein Enthusiasmus ist gewiß sehr abgekühlt für den ganzen Freiheitsspektakel, der nur noch als ein verhallendes Echo in seiner Seele nachklingt. Er hat ja als Geschichtschreiber alle Phasen desselben im Geiste mitgelebt, als Staatsmann mußte er mit der fortgesetzten Bewegung tagtäglich kämpfen und ringen, und nicht selten mag diesem Sohn der Revolution die Mutter sehr lästig, sehr fatal geworden sein:Gebreste denn er weiß recht gut, daß die alte Frau kapabel wäre, ihm selber den Kopf abschlagen zu lassen. – Sie ist nämlich nicht von sanftem Naturell; ein Berliner würde sagen: sie hat kein Gemüt. Wenn die Herren Söhne sie zuweilen schlecht behandeln, so muß man nicht vergessen, daß sie selber, die alte Frau, für ihre Kinder niemals dauernde Zärtlichkeit bewiesen und die besten immer ermordet hat.
XXXII
    Paris, 31. März 1841
    Die Debatten in der Deputiertenkammer über das literarische Eigentum sind sehr unersprießlich. Es ist aber jedenfalls ein bedeutendes Zeichen der Zeit, daß die heutige Gesellschaft, die auf dem Eigentumsrechte basiert ist, auch den Geistern eine gewisse Teilnahme an solchem Besitzprivilegium gestatten möchte, aus Billigkeitsgefühl oder vielleicht auch als Bestechung! Kann der Gedanke Eigentum werden? Ist das Licht das Eigentum der Flamme, wo nicht gar des Kerzendochts? Ich enthalte mich jedes Urteils über solche Frage und freue mich nur darüber, daß ihr dem armen Dochte, der sich brennend verzehrt, eine kleine Vergütung verwilligen wollt für sein großes, gemeinnütziges Beleuchtungsverdienst!
    Das Schicksal des Mehemed Ali wird hier weniger besprochen, als man glauben sollte; doch will es mich bedünken, als herrsche in den Gemütern ein um so tieferes Mitleid für den Mann, der dem Sterne Frankreichs zuviel vertraut hat. Das Ansehen der Franzosen im Orient geht verloren, und dieser Verlust wirkt auch mißlich auf ihre okzidentalischen Verhältnisse; Sterne, an die man nicht mehr glauben kann, erbleichen. – Als die amerikanischen Händel sich so bedenklich gestalteten, ward von englischer Seite die Ausgleichung der ägyptischen Erblichkeitsfrage aufs emsigste betrieben. Frankreich hatte da leichtes Spiel, zum Besten des Paschas zu agieren; das Ministerium scheint aber nichts getan zu haben, um den getreusten Alliierten zu retten.
    Die amerikanischen Händel sind es aber nicht allein, was die Engländer antreibt, die ägyptische Erblichkeitsfrage so bald als möglich abzufertigen und somit die französische Diplomatie wieder in den Stand zu setzen, an den Beratungen und Beschlüssen der europäischen Großmächte teilzunehmen. Die
Dardanellenfrage
steht drohend vor der Tür, verlangt schnelle Entscheidung, und hier rechnen die Engländer auf die konferenzielle Stütze des französischen Kabinetts, dessen Interessen bei dieser Gelegenheit mit ihren eigenen übereinstimmen, Rußland gegenüber.
    Ja, die sogenannte Dardanellenfrage ist von der höchsten Wichtigkeit, und nicht bloß für die erwähnten Großmächte, sondern für uns alle, für den Kleinsten wie für den Größten für Reuß-Schleiz-Greiz und Hinterpommern ebensogut wie für das allmächtige Österreich, für den geringsten Schuhflicker wie für den reichsten Lederfabrikanten; denn das Schicksal der Welt selbst steht hier in Frage, und diese Frage muß an den Dardanellen gelöst werden, gleichviel in welcher Weise. Solange dieses nicht geschehen, kränkelt Europa an einem heimlichen Übel, das ihm keine Ruhe läßt und das, je später, desto entsetzlicher, am Ende zum Ausbruch kommt. Die Dardanellenfrage ist nur ein Symptom der orientalischen Frage selbst, der türkischen Erbschaftsfrage, des Grundübels, woran wir siechen, des Krankheitsstoffs, der im europäischen Staatskörper gärt und der leider nur gewaltsam ausgeschieden, vielleicht nur mit dem Schwerte ausgeschnitten werden kann. Wenn sie auch von ganz andern Dingen sprechen, so schielen doch alle Machthaber nach den Dardanellen, nach der Hohen Pforte, nach dem alten Byzanz, nach Stambul, nach Konstantinopel – das Gehreste hat viele Namen. Wäre im europäischen Staatsrechte das Prinzip der Volkssouveränetät sanktioniert, so könnte das Zusammenbrechen des Osmanischen Kaisertums nicht für die übrige Welt so gefährlich sein, da alsdann in dem aufgelösten

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