Saemtliche Werke von Jean Paul
stehen vor mir alle Stunden wie leere Gräber hin, die mich oder meine Freunde auffangen! Ich hab’ es wohl gehört, wer meine Hand noch einmal am Sarge gedrückt…. komm recht bald, Teurer!
Weißt du nicht mehr, wie ich mich von jeher vor dem lebendigen Begräbnis gefürchtet? Mitten im Einschlafen fuhr ich oft auf, weil mir einfiel, ich könnte ohnmächtig und so beerdigt werden und meine aufwollenden Arme triebe dann der Sargdeckel nieder. Auf Reisen drohte ich überall, wo ich kränklich wurde, ich wollte ihnen, wenn sie mich innerhalb acht Tagen beisetzten, als Gespenst erscheinen und auflasten. Diese Furcht war mein Glück: sonst hätte mich mein Sarg getötet.
Vor Wochen kam meine alte Krankheit wieder zu mir, das hitzige Fieber. Ich eilte mit ihr nach meinem Ruhestatt , und mein erstes Wort zu meinem Hausverwalter – da ich dich nicht haben konnte – war, mich sogleich , als ich ohne Leben wäre, zu beerdigen, weil die Gewölbluft leichter erweckt, aber nichts zuzusperren, weder Sarg noch Erbgruft – die einsame Kirche am Park steht ohnehin offen. Auch sagt’ ich ihm, meinen Spitzhund, der nicht von mir bleibt, überall mitzulassen. Noch in der Nacht nahm das Fieber zu; aber beim Blutlassen bricht meine Zurückerinnerung ab. Ich weiß bloß noch, daß ich das Blut mit einigem Schauder um meinen Arm sich krümmen sah; und daß ich dachte: ›Das ist das Menschenblut, das uns heilig ist, welches das Kartenhaus und das Sparrwerk unsers Ichs ausküttet und in welchem die unsichtbaren Räder unsers Lebens und unserer Triebe gehen.‹ Dieses Blut sprützte nachher an alle Phantasien meiner Fiebernächte; das eingetauchte All stieg blutrot daraus herauf, und alle Menschen schienen mir an einem langen Ufer einen Strom zusammenzubluten, der über die Erde hinaus in eine saufende Tiefe hinabsprang – Gedanken, häßliche Gedanken rückten vor mir grinsend vorüber, die kein Gesunder kennt, keiner nachschafft, keiner erträgt, und die bloß liegende Krankenseelen anbellen. Wäre kein Schöpfer: so müßt’ ich vor den verborgnen Angst-Saiten erzittern, die im Menschen aufgezogen sind und an denen ein feindseliges Wesen reißen könnte. Aber nein! du allgütiges Wesen! du hältst deine Hand über unsre Anlage zur Qual und legest das Erden-Herz, worüber diese Saiten aufgewunden sind, auseinander, wenn sie zu heftig beben!…
Der Kampf meiner Natur wurde endlich zu einem ohnmächtigen Schlummer, aus dem so viele bloß erwachen, um unter der Erde zu sterben. Darin trug man mich in die einsam stehende Kirche. Der Fürst und mein Spitz waren mit dabei; aber bloß der erste ging wieder fort. Ich lag vielleicht die halbe Nacht, bis das Leben durch mich zuckte. Mein erster Gedanke riß die Seele immer auseinander. Von ungefähr trat der Hund auf mein Gesicht; plötzlich senkte sich eine Beklemmung, wie wenn eine Riesenhand meine Brust böge, tief auf mich herein, und ein Sargdeckel schien mir wie ein aufgehobnes Rad über mir zu stehen…. Schon die Beschreibung schmerzt mich, weil die Möglichkeit der Wiederholung mich ängstigt…. Ich stieg aus der sechseckigen Brutzelle des zweiten Lebens, der Tod streckte sich vor mir weit hin mit seinen tausend Gliedern, den Köpfen und Knochen. Ich schien mir unten im chaotischen Abgrund zu stehen, und oben weit über mir zog die Erde mit ihren Lebendigen. Mich ekelte Leben und Tod. Auf das, was neben mir lag, sogar auf meine Mutter sah ich starr und kalt wie das Auge des Todes, wenn er ein Leben zerblickt. Ein rundes Eisengitter in der Kirchenmauer schnitt aus dem ganzen Himmel nichts heraus als die schimmernde zerbrochne Scheibe des Mondes, der als ein himmlisches Sarglicht auf den Sarg, der die Erde heißer, herunterhing. Die öde Kirche, dieser vorige Markt des redenden Gewimmels, stand ausgestorben und untergraben von Toten da – die langen Kirchenfenster legten sich, vom Mond abgeschattet, über die Gitterstühle hinüber – an der Sakristei richtete sich das schwarze Toten-Kreuz auf, das Ordenkreuz des Todes – die Degen und Sporen der Ritter erinnerten an die zerbröckelten Glieder, die sie und sich nicht mehr bewegten, und der Totenkranz des Säuglings mit falschen Blumen hatte den armen Säugling hieher begleitet, dem der Tod die Hand abgebrochen, eh’ sie wahre pflücken konnte – steinerne Mönche und Ritter machten das längst verstummte Gebet an der Mauer mit verwitternden Händen nach – nichts Lebendiges sprach in der Kirche als der eiserne Gang des
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