Saemtliche Werke von Jean Paul
Geist begehrt etwas anders als eine aufgewärmte, neu aufgelegte Erde, eine andre Sättigung, als auf irgendeinem Kot- oder Feuer-Klumpen des Himmels wächset, ein längeres Leben, als ein zerbröckelnder Wandelstern trägt; aber ich begreife nichts davon….
Komm nur recht bald zu meinem Kopfe, dem du die eine Locke genommen. solange ich lebe, soll die Seite, an der du den Lockenraub begangen, zum Andenken, was ich war und werde, ohne Zierde bleiben. etc.
Ottomar.«
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Dichtende Genies sind in der Jugend die Renegaten und Verfolger des Geschmacks, später aber Proselyten und Apostel desselben, und den verzerrenden, mikroskopischen und makroskopischen Hohlspiegel schleift das Alter zu einem ebnen ab, der die Natur bloß verdoppelt, indem er sie malt. So werden die handelnden und empfindenden Genies aus Feinden der Grundsätze und aus Stürmern der Tugend größere Freunde von beiden, als fehlerlosere Menschen niemals werden. Ottomar wird einmal die übertreffen, die ihn jetzo tadeln können. Übrigens werd’ ich ihn im Verfolge dieser Viel-Lebensbeschreibung nicht schelmisch behandeln, sondern ehrlich, ob ers gleich nicht hofft; denn vor seiner Reise, wo ich einigemal in den heißen Brennpunkt seiner Fehler geriet, zerfielen wir ein wenig miteinander: – seitdem glaubt er, ich hass’ ihn von Herzen; allein ich glaube, ich lieb’ ihn von Herzen, hab’ aber, wie hundert andre, eine besondre Freude an meiner verheimlichten leidenden Liebe.
Fünfunddreißigster oder Andreas-Sekto r
Tage der Liebe – Oefels Liebe – Ottomars Schloß und die Wachsfiguren
Ich tunke heute schon wieder in mein biographisches Dintenfaß, weil ich nunmehr mit meinem Gebäude bald an die Gegenwart stoße – am heiligen Weihnachtfeste hoff’ ich nach zu sein –; ferner weil heute Andreastag ist und weil mein Hausherr unter dem Geschrei seiner Kinder einen Birkenbaum in die Stube und in einen alten Topf eingestellt hat, damit er zu Weihnachten die silbernen Früchte trage, die man ihm anbindet. Über so etwas vergess’ ich Gerichttage und Termine.
Gustav wachte am Morgen nach der Liebeerklärung, nicht aus seinem Schlafe – denn darein konnte nach diesem Königschuß im Menschenleben nur ein menschlicher Dachs oder eine Dächsin fallen –, sondern aus seinem brausenden Freuden- Ohrenklingen auf. Entzückungen zogen im Ringeltanz um sein inneres Auge, und sein Bewußtsein langte kaum zu seinem Genießen zu; welcher Morgen! In einem solchen Brautschmuck trat die Erde nie vor ihn. Es gefiel ihm alles, sogar Oefel, sogar das Oefelsche Prahlen mit Beatens Liebe. Das Schicksal hatte heute – den Verlust seiner Liebe ausgenommen – keine giftige Spitze, keinen eiternden Splitter, den er nicht gleichgültig in seine von der ganzen Seligkeit bewohnte und gespannte Brust eingelassen hätte. So ersetzt oft die höchste Wärme die höchste Kälte oder Apathie; und unter der Täucherglocke einer heftigen Idee – sei es eine fixe oder eine leidenschaftliche oder eine wissenschaftliche – stecken wir beschirmt vor dem ganzen äußern Ozean.
Beaten gings ebenso. Diese sanfte fortvibrierende Freude war ein zweites Herz, das ihre Adern füllte, ihre Nerven beseelte und ihre Wangen übermalte. Denn die Liebe steht – indes andre Leidenschaften nur wie Erdstöße, wie Blitze an uns fahren – wie ein stiller durchsichtiger Nachsommertag mit ihrem ganzen Himmel in der Seele unverrückt. Sie gibt uns einen Vorschmack von der Seligkeit des Dichters, dessen Brust ein fortblühendes, tönendes, schimmerndes Paradies umfängt und der hineinsteigen kann, indes sein äußerer Körper das Eden und sich über polnischen Kot, holländischen Sumpf und siberische Steppen trägt. –
O ihr Wollüstlinge in Residenzstädten! wo reicht euch die Gegenwart nur eine solche Minute, als hier die Vergangenheit meinem Paare ganze Tage vorsetzt; euch, deren harte Herzen vom höchsten Feuer der Liebe, wie der Demant vom Brennspiegel, nur verflüchtigt , aber nicht geschmolzen werden?
Aber wie Abendrot am Himmel so umherfließet, daß es die Wolken des Morgenrots besäumt: so war auf Beatens Wangen neben dem Rot der Freude auch das der Schamhaftigkeit – wiewohl nicht länger, als bis des Geliebten Gestalt, wie ein Engel, durch ihren Himmel flog. – Beide sehnten sich, einander zu sehen; beide fürchteten sich, von der Residentin gesehen zu werden; die Entdeckung und noch mehr die Beurteilung ihrer Empfindungen hätten sie gern gemieden. Es
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