Saemtliche Werke von Jean Paul
ein breites Senfpflaster, womit ich wie mehre Gelehrte meine Füße besohle – die materia peccans aus den obern Teilen in die niedern heruntertreiben könne. Gleichwohl geh’ ich weiter, wenns gefriert. Ich schabe und kerbe mir nämlich eine hohe Eismütze aus und denke unter der gefrornen Schlafmütze: alsdann wirds kein Wunder sein, wenn die Apoplexie und ihre Halbschwester, die Hemiplexie – durch mich angefallen von oben und unten, am einen Pol durch den heißen Fuß-Sokkus, am andern durch den Eis-Knauf oder die gefrorne Marterer-Krone – hingeht, wo sie herkam, und mich der Erde schenkt, deren einer Pol gleichfalls unten Sommer hat, wenn der andre oben Winter….. Der Leser werfe aber einmal von guten Büchern ein philanthropinisches Auge auf uns, deren Verfasser: wir Verfasser strengen uns an und verfertigen Fibeln, Mordpredigten, periodische Blätter oder Reinigungen, Ausschnitte und andern aufklärenden Henker; aber unsern Madensack zerzausen und schaben wir ja darüber entsetzlich ab – und doch meints kein Teufel ehrlich mit uns. So steh’ ich und die ganze schreibende Innung aufrecht da und verschießen gern lange Strahlen über die ganze Halbkugel (denn mehr ist auf einmal von Welt- und andern Kugeln nicht zu beleuchten, und dem ganzen Amerika fehlen unsre Kiele), indes wir doch den ersten Christen gleichen, die das Licht , womit sie, in Pech und Leinwand eingeklemmt, als lebendige Pechfackeln über Neros Gärten schienen, zugleich mit ihrem Fett und Leben von sich gaben….
»Und hier« – sagen Romanen-Manufakturisten – »erfolgte ein Auftritt, den der Leser sich denken, ich aber nicht beschreiben kann.« Das kommt mir viel zu dumm vor. Ich kann es auch nicht beschreiben, beschreib’ es aber doch. Haben denn solche Autoren so wenig Rechtschaffenheit, daß sie bei einer Szene, nach der die Leser schon im voraus geblättert haben, z. B. bei einem Todesfall, auf den alle, Eltern und Kinder, lauern wie auf einen Lehnfall oder Hängtag, vom Sessel aufspringen und sagen: das macht selber? Es ist so, als wenn die Schikanedrische Truppe vor den verzerrendsten Auftritten des Lears an die Theater-Küste ginge und das Publikum ersuchte, es möchte sich Lears Gesicht nur denken, sie ihres Orts könnte es unmöglich nachmachen. – Wahrhaftig was der Leser denken kann, das kann ja der Autor – beim vollen Puls aller seiner Kräfte – sich noch leichter denken und es mithin schildern; auch wird des Lesers Phantasie, in deren Speichen einmal die vorhergehenden Auftritte eingegriffen und die sie in Bewegung gesetzt, leicht in die stärkste durch jede Beschreibung des letzten Auftritts hineinzureißen sein – außer durch die jämmerliche nicht, daß er nicht zu beschreiben sei.
Von mir hingegen sei man versichert, ich mache mich an alles. Ich redete es daher schon auf der Ostermesse mit meinem Verleger ab, er sollte sich um einige Pfund Gedankenstriche, um ein Pfund Frage- und Ausrufungszeichen mehr umtun, damit die heftigsten Szenen zu setzen wären, weil ich dabei um meinen apoplektischen Kopf mich so viel wie nichts bekümmern würde.
Vierunddreißigster oder I. Advent-Sekto r
Ottomar – Kirche – Orgel
Am andern Morgen war ein Lärm im Schlosse über eine Sache, die der Doktor Fenk um eine Woche später durch einen Brief von – Ottomar erfuhr.
– Nie hab’ ich einen Sektor oder Sonntag so traurig angefangen als heute; mein vergehender Körper und der folgende Brief an Fenk hängen wie ein Hutflor an mir. Ich wollt’, ich verstände den Brief nicht – ach es wäre dann eine unvergeßliche Novemberstunde nie in mein Leben getreten, die, nachdem so viele andre Stunden bei mir vorübergegangen, bei mir stehen bleibt und mich immerfort ansieht. – Dunkle Stunde! du streckest deinen Schatten über ganze Jahre aus, du stellest dich so vor mich, daß ich den phosphoreszierenden Nimbus der Erde hinter dir nicht flimmern und rauchen sehen kann, die 80 menschlichen Jahre sehen in deinem Schatten wie der Ruck des Sekundenweisers aus – ach nimm mir nicht so viel!… Ottomar hatte dieselbe Stunde nach seinem Begräbnis und beschreibt sie dem Doktor so:
*
»Ich bin seitdem lebendig begraben worden. Ich habe mit dem Tode geredet, und er hat mich versichert, es gebe weiter nichts als ihn. – Als ich aus meinem Sarg heraus war, so hat er die ganze Erde dafür hineingelegt und mein bißchen Freude oben darauf…. Ach guter Fenk! wie bin ich verändert! Komm nur bald zurück! Seitdem
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