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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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war keine von den Koketten, welche die Sinne früher zu bewegen suchen als das Herz; sie fiel erst in dieses mit dem ganzen Heer ihrer Reize ein und führte nachher aus diesem, gleichsam in Feindes Land, den Krieg gegen jene . Sie selber war nicht anders zu erobern, als sie bekriegte. Wenn die Weiber der höhern Klasse, wie die Epigrammen, in solche, die Witz , und in andre, die Empfindung haben, einzuteilen sind: so glich sie mehr dem griechischen als dem gallischen Sinngedicht, wiewohl die griechische Ähnlichkeit täglich kleiner wurde. Die Maienluft ihres frühern Lebens hatte einmal eine weiße Blüte edler Liebe an ihr Herz geweht, wie oft ein Blütenblatt zwischen die gebeizten Federn oder Brillanten-Blumen des Damenhuts herunterzittert – aber ihr Stand formte bald ihren Busen zu einem Potpourri um, auf dem gemalte Blumen der Liebe und in welchem ein faulender Blüten-Schober ist. Alle ihre Verirrungen blieben jedoch in den engern und schönern Grenzen, an denen eine unsichtbare Hand eines unauslöschlichen Gefühles sie anhielt. Die Ministerin hatte dieses Gefühl nie gehabt, und ihre Herzens-Schreibtafel wurde immer schmutziger, je mehr sie hineinschrieb und herauswischte. Diese konnte durchaus keinen edlen Menschen blenden; jene konnt’ es.
    Jetzo nach dieser Abschweifung kann der Leser nicht mehr irre werden, wenn Bousens Betragen gegen Gustav weder aufrichtig noch verstellt, sondern beides ist. Sie zeigte ihm das Nachtstück, das der russische Fürst dagelassen und das sie der richtigern Beleuchtung wegen in ihrem Kabinette aufgehangen hatte. Es stellte bloß eine Nacht, einen aufgehenden Mond, eine Indianerin, die ihm auf einem Berge entgegenbetet, und einen Jüngling vor, der auch Gebet und Arme an den Mond, die Augen aber auf die geliebte Beterin an seiner Seite richtete; im Hintergrund beleuchtete noch ein Johanniswürmchen eine mondlose Stelle. Sie blieben im Kabinett, die Residentin verlor sich in die gemalte Nacht, Gustav sprach darüber; endlich erwachte sie schnell aus ihrem Schauen und Schweigen mit den schlaftrunknen Worten: »Meine Geburtfeste machen mich allemal betrübt.« Sie zeichnete ihm zum Beweise fast alle dunklern Partien ihrer Lebensgeschichte vor; das Trauer-Gemälde nahm seine Farben von ihrem Auge und ihrer Lippe, und seine Seele von ihrem Ton, und sie endigte damit. »Hier leidet jeder allein .« Er ergriff in mitfühlender Begeisterung ihre Hand und widerlegte sie vielleicht durch einen leisen Druck.
    Sie ließ ihm die Hand mit der unachtsamsten Miene; schien aber bald eine Laute neben ihnen, die sie ergriff, zum Vorwand zu nehmen, um die schöne Hand zurückzuführen. »Ich war nie unglücklich,« fuhr sie bewegt fort, »solange mein Bruder noch lebte.« Sie nahm nun das Bild desselben, das sie auf ihrem schwesterlichen Busen trug, nach einer leichten, aber notwendigen Enthüllung hervor und teilte es karg seinen Augen mit, und freigebig den ihrigen. Ob Gustav bei der Enthüllung so verschiedner Geheimnisse bloß auf das gemalte Brustbild hingesehen – das beurteilt mein Konrektor und sein Fuchspelzrock am vernünftigsten, welcher glaubt, es gebe keine schönere Ründe als der Perioden ihre, und keine neuern Evas-Äpfel als die im Alten Bunde. Mein Pelz-Konrektor hat gut vordozieren; aber Gustav, der der trauernden Residentin gegenübersitzt, welche sonst bloß die Form , nie die Farbe jener umlaubten verbotnen Frucht erraten ließ, hat schwer lernen.
    Die wenigsten wären, wie ich und der Konrektor, imstande gewesen, ihr das Bild eigenhändig wieder einzuhändigen.
    »Dieses Kabinett«, sagte sie, »lieb’ ich, wenn ich traurig bin. Hier überraschte mich mein Alban (Name des Bruders), da er aus London kam – hier schrieb er seine Briefe – hier wollt’ er sterben, aber der Arzt ließ ihn nicht aus seinem Zimmer.« Sie ließ unbewußt einen in die Luft versinkenden Akkord aus ihrer Laute schlüpfen. Sie blickte Gustav träumerisch an, ihr Auge umzog sich mit immer feuchterem Schimmer. »Ihre Schwester ist noch glücklich!«sagte sie mit einem Trauerton, der allmächtig ist, wenn man ihn das erstemal von schönen und sonst lachenden Lippen hört. »Ach ich wollte,« (sagte er mit sympathetischem Kummer) »ich hätte eine Schwester.« – Sie sah ihn mit einer kleinen forschenden Verwunderung an und sagte. »Auf dem Theater machten Sie heute gerade die umgekehrte Rolle gegen die nämliche Person.« Dort nämlich gäb’ er sich fälschlich für einen Bruder der Beata,

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