Saemtliche Werke von Jean Paul
von Haß und Liebe zur Gleichgültigkeit, welchen alle auszustehen haben, die mit vielen Menschen oder mit vielen Sätzen, für die sie kalt bleiben müssen, sich abgeben!
Die Residentin zog seine scheuen Talente heute mehr als sonst ans Licht und beschönigte den Anteil, den sie an ihm nahm, leicht mit seinen Theater-Verdiensten um sie. – Endlich fing das dritte Schauspiel an, worin mehre als in den beiden andern glänzen konnten; denn es wurde nur mit den Füßen gespielt – der Ball kam. Tanzen ist der weiblichen Welt das, was das Spielen der großen ist – eine schöne Vakanzzeit der Zungen, die oft unbeholfen, oft gefährlich werden. Für einen Kopf wie der Gustavische, der so viele Bestürmungen seiner Sinne heute zum ersten Male erfahren, war ein Tanzsaal ein neues Jerusalem. – In der Tat ein Tanzsaal ist etwas; sehet in den hinein, wo Gustav springt! Jedes Saiten- und Blasinstrument wird zum Hebebaum, der die Herzen aus dem kargen mißtrauischen Alltagleben aufhebt: – die Tänze mengen die Menschen wie Karten in- und auseinander, und die tönende Atmosphäre um sie fasset die trunkne Masse in eines ein – so viele Menschen und zu einem so freudigen Zwecke verknüpft, durch umringende Helldämmerung, geblendet, durch ihre klopfenden Herzen begeistert, müssen den Freudenbecher wenigstens kredenzen, welchen Gustav gar austrank; denn ihn, dem jede Dame eine Dogaressa ist, begeisterte jede Hand-Berührung, und der Tumult von außen weckte seinen ganzen innern so auf, daß die Musik, wie zurückprallend, ihren äußern Geburtort verließ und nur in seinem Innern unter und neben seinen Gedanken zu entspringen und herauszutönen schien…. Wahrhaftig wenn man seine Ideen um einen lodernden Kronleuchter herumträgt, so werfen sie ein ganz anderes Licht zurück, als wenn man damit vor einer ökonomischen Lampe hockt! In phantasiereichen Menschen liegen, wie in heißen Ländern oder auf hohen Bergen, alle Extreme enger aneinander: bei Gustav wollte jeden Augenblick die Entzückung zur Wehmut werden und die Freude zur Liebe, und alle die Empfindungen, die ihm die Tänzerinnen einflößten, wollt’ er seiner Einzigen bringen, die einsam wegstand. Gleichwohl war ihm, als würde sie durch diese alle nicht sowohl als durch die Residentin ersetzt. Sogar durch das Drama, das mit dieser sich geschlossen und worin er für ihre Krönung gespielet, wurde sie ihm lieber; ja ihr heutiger Geburttag selber war einer ihrer Reize in seinen Augen. Anders oder vernünftiger empfindet der Mensch nie. Kurz die Residentin gewann bei allem, wessen ihn heute das Wegsein seiner Beata beraubte. Er hatte heute zum ersten Male von der Residentin, die er außerordentlich achtete, mehr angefasset als einen Handschuh – mehr, nämlich ihre Arm- und Rückenschienen, mit andern Worten ihr Kleid darüber: an Arm und Rücken, obwohl nicht an Händen, ist Bekleidung so viel wie keine. Gustav! philosophiere und schlafe lieber….
Aus ist der bal paré – aber der Teufel geht erst an. Oefels Wagen fuhr hinter dem Bousischen; am letzten entzündet sich eine versäumte Radachse unter der unnützen Eiligkeit. Freilich wars Zufall, aber gewisse Menschen kennen keinen schlimmen, und ihre Absichten legen sich um jeden an. Oefel mußt’ ihr seinen anbieten. Die gute Beata war in ihrem Krankenzimmer mit einer kleinen weiblichen Dienerschaft gelassen. Er nahm ein Pferd von dem Wagen der Residentin; ihr ließ er (ich weiß nicht, ob aus Galanterie gegen ihr Geschlecht oder aus Scharfsinn und Freundschaft für seines und für seinen Roman) meinen und ihren Helden. Ich wollt’ es vor einem akademischen Senat ausführen, daß es für einen, der erst ein Engel werden will, nichts Fataleres gibt als mit einer, die er schon für einen hält, nachts aus einem Tanzsaale nach Hause zu fahren – dennoch wurde meinem Helden kein Haar gekrümmt, und er krümmte auch keines.
Aber verliebter wurd’ er, ohne zu wissen in wen.
Beata hatte keine ebenso gefährliche Mitternacht oder Nachmitternacht; aber ich will erst seine abfertigen. Er kam mit der Residentin in ihrem – Zimmer an. Er konnte und wollte von seinen heutigen Szenen gar nicht los. Dieses Zimmer stellte ihm alle die vergangnen dar, und in den Saiten des Klaviers verbarg sich eine ferne geliebte Stimme und hinter der Folie des Spiegels eine ferne geliebte Gestalt. Sehnsucht reihete sich wie eine dunkle Blume unter den bunten Freuden-Strauß; die Residentin gewann auch bei dieser dunkeln Blume. Sie
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