Saemtliche Werke von Jean Paul
Schicksals dramatisiere, und sie besaß zu viele von den guten Grundzügen des weiblichen Charakters, um sie vor so vielen Augen zu entblößen. Ihre beste Rolle spielte sie also innerlich. Henri, Gustav, spielte außer der innerlichen auch die äußerliche gut, aus der nämlichen Ursache. Nebst der Musik isolierte und hob ihn gerade die Menge, die ihn umsaß, aus der Menge; und das Feierliche gab seinen innern Wellen die Stärke und Höhe, um die äußern zu überwältigen. Der Brief, den er überreichen wollte, verwirrte seine Rolle mit seiner Geschichte, die ich schreibe; und das falsche Lob, das die Ministerin seiner neulichen Proberolle aus eben der unüberzeugten Affektation gegeben hatte, woraus sie die ihrige überspannte, half ihm wahres ernten. – Der blödeste Mensch ist, wenn viel Phantasie unter seinen Taten glimmt, der herzhafteste, wenn sie emporlodert. –
Es wäre lächerlich, wenn mein Lob von der Wärme seines Spiels bis zur Feinheit desselben ginge; aber die Zuschauer vergaben ihm gern, weil die Armut an letzter sich mit dem Reichtum an erster verband, um sie in die Täuschung zu ziehen, er sei von – Lande und bloß Henri. –
Dieses Feuer gehörte dazu, um seiner geliebten Marie Beata an der Stelle, wo er ihr die Brüderschaft aufkündigt, den wahren Liebebrief zu geben – sie faltete ihn zufolge ihrer Rolle auf – unendlich schön hatt’ er die sein ganzes Leben umschlingende Worte gesagt: »O doch, ich bin ja dein Bruder nicht« – sie blickte auf seinen Namen darin – sie erriet es schon halb aus der Art der Übergabe (denn sicher mankierte noch kein Mädchen einer männlichen List, die es zu vollenden hatte) – aber es war ihr unmöglich, in eine verstellte Ohnmacht zu fallen – denn eine wahre befiel sie – die Ohnmacht überschritt die Rolle ein wenig – Gustav hielt alles für Spaß, die Ministerin auch und beneidete ihr die Gabe der Täuschung. – Henri weckte sie bloß mit Mitteln, die ihm sein Rollen-Papier vorschrieb, wieder auf, und sie spielte in einer Verwirrung, die der Kampf aller Empfindungen, der Liebe, der Bestürzung und der Anstrengung, gebar, und in einer andern als theatralischen Verschönerung bis zu Ende Henris Geliebte, um nicht Gustavs seine zu spielen. Nach dem Spiele mußte sie allen übrigen Lustigkeiten des heutigen Abends entsagen und in einem Zimmer, das ihr der Fürst so wie der Doktor mit vielem empressement aufdrang, Ruhe für ihre nachzitternden Nerven und im Briefe Unruhe für ihren schlagenden Busen suchen. Ich hebe, Teure, den Vorhang immer höher auf, der damals noch das verhüllte, was jetzt deinen Nerven und deiner Brust die Ruhe nimmt!
Gustav sah nichts; an der Tafel, woran er sie vermißte, hatt’ er nicht den Mut, seine fremden Nachbarinnen um sie zu fragen. Andre Dinge fragt’ er kühner heute; nicht bloß der heutige Beifall war eine Eisen- und Stahlkur für seinen Mut gewesen, sondern auch der Wein, den er nicht trank, sondern aß an den närrischen Olla Potridas der Großen. Dieses gegessene Getränk feuerte ihn an, die Bonmots wirklich zu offenbaren, die er sich sonst nur innerlich sagte. Und hier bezeug’ ich öffentlich, daß es mich noch bis auf diese Minute kränkt, daß ich sonst bei meinem Eintritte in die große Welt ein ähnlicher Narr war und Dinge dachte, die ich hätte sagen sollen. – Besonders bereu’ ich dies, daß ich zu einer Tranchee-Majorin, die ihr kleines Mädchen an der Hand und eine Rose, aus deren Mitte eine kleine gesprosset war, am Busen hatte, nicht gesagt habe: Vous voilà! und daß ich nicht auf die Rose gewiesen, ob ich gleich das ganze Bonmot schon fertig gegossen im Kopfe liegen hatte. Ich führte nachher die Saillie lange in den Gehirnkammern herum und paßte auf, brennte sie aber zuletzt doch auf eine recht dumme Weise los und darf die Person hier nicht einmal nennen.
Da eine Winterlandschaft mit einem künstlichen Reife, der in der Wärme des Zimmers zerfloß und einen belaubten Frühling aufdeckte, unter den Schau-Gerichten, den optischen Prunk-Gerichten der Großen, mit stand: so hatte Gustav einen hübschen Einfall darüber, den man mir nicht mehr sagen konnte. Gleichwohl ob er gleich unter dem schönsten Deckenstücke und auf dem niedlichsten Stuhle aß: so nahm er doch, als ein bloßer Hof-Anhänger, an allem Anteil, was er sagte, und an jedem, mit dem er sprach; dir war noch, du Seliger, keine Wahrheit und kein Mensch gleichgültig. Aber er steht dir noch bevor, jener herbe Übergang
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