Saemtliche Werke von Jean Paul
trieb sich als Barbiergehilfe in der Welt umher. Wenige Wochen darauf war er Soldat und Wundarzt bei einem Regiment geworden. Jean Paul suchte die Mutter zu trösten: »Er kann an einen guten Herrn geraten sein… tausend wandern wie er in der Welt herum.« Die Mutter macht dem ältesten Sohne Vorwürfe, daß dessen Strenge den Bruder fortgetrieben. Er verteidigt sich: »Mir aber können Sie die Schuld nicht beimessen, daß er fort ist. Wegen meiner Vermahnung hat er sich nicht fortgemacht, sondern weil Sie ihm durch mich schreiben ließen, er solle sich jetzt nicht auf Ihre Hilfe verlassen.« Gottlieb, der fünf Jahre jüngere, sitzt zu Hause herum und kann wegen Mangel aller Mittel nichts unternehmen. Jean Paul rät, ihn zu einem Kaufmann in die Lehre zu geben, aber auch dazu fehlt es an Ausstattung und Beziehungen. Er beschwört die Mutter, das Haus zu verkaufen. Es ist das letzte Besitztum, aber die Not scheint ihm den Gipfel erreicht zu haben. »Es wird doch Leute geben, bei denen es sich gut zu Miete wohnen läßt. Bedenken Sie die Steuern und die Gaben, die Sie jetzt geben müssen. Rechnen Sie dazu, daß 800 fl. jährlich 40 fl. Interesse tragen; ferner, daß dieses baufällige Haus von Tag zu Tag baufälliger wird.« Er selbst muß die Mutter mit Bitten um Geld bestürmen. »Ich will nicht von Ihnen Geld, um meinen Speiswirt zu bezahlen, dem ich 24 Reichstaler schuldig bin, oder meinen Hauswirt, dem ich 10 Reichstaler, oder andere Schulden, die über 6 Reichstaler ausmachen – zu allen diesen Posten verlang ich von Ihnen kein Geld; ich will sie stehen lassen bis zu Michaelis, wo ich diese Schulden und die noch künftig zu machenden, unfehlbar zu bezahlen instand gesetzt sein werde. – Also zu dieser großen Summe verlange ich von Ihnen keine Beihilfe – aber zu folgender müssen Sie mir Ihre Hilfe nicht abschlagen. Ich muß alle Wochen die Wäscherin bezahlen, die nicht borgt, ich muß zu früh Milch trinken; ich muß meine Stiefel vom Schuster besohlen lassen, der ebenfalls nicht borgt; muß meinen zerrissenen Biber ausbessern lassen vom Schneider, der gar nicht borgt – muß der Aufwärterin ihren Lohn geben, die natürlich auch nicht borgt – und dies muß ich nur jetzt alles bezahlen, und bis auf Michael noch weit mehr. Nun sehen Sie, zur Bezahlung dieser Sachen werden Sie mir doch wohl hilfliche Hand leisten können – ich wüßte gar nicht, was ich anfangen sollte, wenn Sie mich stecken ließen. Glauben Sie denn, daß ich Sie mit Bitten plagen würde, wenn ich es nicht höchst nötig hätte. Ich mag ja auch nicht viel; acht Taler sächsisch Geld sollen mich zufriedenstellen, und gewiß werd’ ich dann Ihre Hilfe nicht mehr so nötig haben. Denn das dürfen Sie nicht glauben, daß mein Mittel, Geld zu erwerben, nichts tauge, weil es etwan noch nicht angeschlagen hat. O nein! Durch eben dieses getraue ich mich zu erhalten, und es kommt nur auf den Anfang an.«
Im August stieß er diesen Hilfeschrei aus. Vier Monate sollte es noch dauern, bis die Erlösung kam. Er trug das Manuskript selbst zu den Verlegern und ertrug mit dem Schwinden der Hoffnung die beißend empfundene Schmach der Ablehnung. Eine glückliche Stunde brachte ihn auf den Gedanken, das Buch der Post anzuvertrauen und bei auswärtigen Verlegern das Glück zu versuchen, das ihm in Leipzig immer wieder den Rücken kehrte, und es war nur natürlich, daß er auf den Verleger Gottlieb Theodor von Hippels verfiel, dessen »Lebensläufe in aufsteigender Linie« und dessen Buch »Über die Ehe« ihn vielfach angeregt hatten, ja in dem er Zeiten hindurch sein eigentliches Vorbild sah. Dieser Verleger, der Buchhändler Voß in Berlin, war durch die Bekanntschaft mit Hippels Werken wohl überhaupt der einzige, der die Werte des Erstlingsbuches zu erkennen vermochte. Von hier kam denn nun endlich, wenn nicht die endgültige Rettung, so doch der erste warme Sonnenstrahl der Anerkennung, der dem Kämpfenden den bereits verdorrenden Mut für einige Jahre wieder stärkte. Als Jean Paul wie seit Wochen am 10. Dezember 1782 wartend in seinem kalten Stübchen saß, »klopfte endlich an der kalten Stube das Schreiben an, welches berichtete, daß der ehrwürdige Buchhändler Voß, der Verleger und Freund Lessings und Hippels, die beißige Erstgeburt mit Liebe in seinem Handelsgewerbhaus aufnähme und sie so ausrüsten werde, daß sie zur Ostermesse in Leipzig zu den andern gelehrten Kreistruppen und enfants perdus stoßen könne. – Was er denn auch
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