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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Kunstrichter an:
    »Es ist angenehm zu bemerken, wieviel eine gewisse parteilose Kälte gegen die Poesie, welche man unsern besten Kunstrichtern nicht absprechen darf, dazu beiträgt, sie aufmerksamer auf die Dichter selbst zu machen, so daß sie ihre Freunde und Feinde unbefangener schätzen und ausfinden ohne die geringste Einmischung poetischer Nebenrücksicht. Ich finde sie hierin, insofern sie mehr der Mensch und Gärtner als dessen poetische Blume besticht, nicht sehr von den Hunden verschieden, welche eine kalte Nase und Neigung gegen Wohlgerüche zeigen, desgleichen gegen Gestank, die aber einen desto feinern Sinn für Bekannte und für Feinde und überhaupt für Personen (z. B. Hasen) beweisen, anstatt für Sachen.«
    Man wird die feine Eleganz dieser Sätze erst deutlich spüren, wenn man denselben Gedanken in der »falschen und überall gewöhnlichen Manier« ausgedrückt findet, von der Jean Paul ein Muster folgen läßt:
    »Man muß gestehen und alle Welt weiß, daß die Herren Kunstrichter zwar nicht für poetische Schönheiten (das ist ja eine lächerliche Kleinigkeit), aber doch für jeden, wer so unter der Hand ihr Feinsliebchen oder ihr Feind ist, eine gar herrliche Spürnase haben. Meine Ehrenmänner sind hier baß den Hunden zu vergleichen (doch mit allem Respekt und ohne Vergleichung gesprochen), welche usw.«
    Schon der Anfang »man muß gestehen« oder »alle Welt weiß« in ihrer abgebrauchten Schablonenhaftigkeit zeigen im Vergleich zu dem »Es ist angenehm zu bemerken« der ersten Fassung den Gegensatz zwischen Klischee und Stil. Sodann das ironische »Das ist ja eine lächerliche Kleinigkeit« in der Parenthese und der Ausdruck »Ehrenmänner« mahnen an das Niveau heutiger Wahlkampfschreibweise. Jean Paul führt in der Folge das vollständige »ironische Idiotikon von wenigen Worten« auf, das er aus einer Reihe deutscher Rezensionen gezogen. Er schreibt: »Die Substantiva sind: Patron, Ehrenmann, häufiger Herr, Freund, Gast, Hochgelahrter, Hochweiser, ferner häufige Diminutiva als Scheinzeichen der Liebe, z. B. Pröbchen. – Die Adjektiva sind stets die höchst lobenden: geschickte, unvergleichliche, werteste, hochgelahrte, treffliche, artige, weidliche, leckere, behagliche… – Die Adverbia sind: ganz, gar, baß, höchlich, ungemein, unfehlbar, augenscheinlich. Endlich braucht die After-Ironie noch gern das Pronomen mein , unser , ›mein Held‹. – Theologische Ausdrücke wie: fromm, erbaulich, gesalbt, Salbung; Kernsprüche, und veraltete wie: baß, gar schön, behaglich, männiglich usw. stehen im größten ironischen Ansehen, weil beide einen spaßhaften Ernst zu haben scheinen.«
    Aus diesen angeführten Gedankengängen wird ersichtlich, daß Jean Paul und die Zeit der dichterischen Satire in der ironischen Behandlung eines Gedankens nicht eine leicht zur Hand liegende Waffe, sondern ein Problem der Darstellung sah. Nicht in übliche Schablone zu fallen, sondern neue Bilder zu schleifen, das Sprachgut zu vermehren, darin sah auch schon der neunzehnjährige Satirenschreiber seine Aufgabe. Aus einem gleichzeitigen Brief an Oerthel geht hervor, wie ihm stilistische Darstellung ein Problem war, über dessen Bedeutung und Umfang er genaueste Kenntnis hatte. Fast zwanzig Jahre später unterzieht er in der »Vorschule« die satirische Literatur einer kritischen Durchsicht, von Aristophanes über Shakespeare bis zu den Franzosen, Engländern und Deutschen des 18. Jahrhunderts. Boileau, Helvetius, Swift, Sterne, Lichtenberg, Rabener analysiert er mit genialer Intuition und zeigt an ihnen den tiefgreifenden Unterschied zwischen Satire, Scherz, Ironie und Humor auf. Man hat es bei dieser Betrachtungsweise zwar nicht durchweg mit Dichtung zu tun, aber doch mit einer aufs feinste ausgearbeiteten Kunstpoesie, deren Genuß höchst subtile Geschmacksnerven voraussetzte, wie sie uns heute längst abhanden gekommen sind.
    In dem Stadium der Reife, in dem er seine »Vorschule« schrieb, hat er auf seine ersten satirischen Versuche nicht ohne Verachtung zurückgesehen. Er spricht nicht ausdrücklich darüber, kaum daß man es aus seiner Vorrede zur zweiten Auflage der »Grönländischen Prozesse« herauslesen kann. Aber es ist doch in erster Linie gegen sein »Lob der Dummheit« gerichtet, wenn er schreibt: »Ebenso verwerflich ist Erasmus’ Selbstrezensentin (nämlich die Narrheit, die er redend einführt), erstlich als ein leeres, abstraktes Ich, d. h. als Nicht-Ich, und dann, weil statt

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