Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
Prozeßgegner der Familie Richter, und der gehässige Erbschaftsprozeß nahm damit ein Ende, nachdem er den Wohlstand der Familie zerrüttet hatte. Nunmehr konnte Frau Richter darangehen, ihre Mittel zu überschauen und flüssig zu machen. Die Bibliothek ihres Mannes wurde an die Vierlingsche Buchhandlung um ein Geringes verkauft. Alter Hausrat, der sich noch in Schwarzenbach befand, wurde durch Vermittlung des Rektors Werner versteigert. In den Händen des Kammerrats von Oerthel befand sich noch der Kaufschilling von einem Bauerngut, das der Großvater Kuhn seinerzeit verkauft hatte. Mutter und Sohn teilten sich jetzt in das Geld, das sie nunmehr ohne Gefahr der Beschlagnahme durch die Gerichte an sich nehmen konnten. Die Summe half dem gänzlich Mittellosen über den Sommer hinweg. Es waren klägliche Brocken, die das Schicksal den Unglücklichen hinwarf, aber sie linderten wenigstens für den Augenblick die furchtbarste Not.
    In Leipzig blieb ihm für den Augenblick nichts zu tun, als das zurückgekehrte Exemplar des »Lobes der Dummheit« noch einmal durchzusehen. Später beschrieb er dem Pfarrer Vogel die Szene mit dem hervorgeholten Manuskript, das ihm selbst nicht mehr gefallen wollte. »›Da lieg’ im Winkel,‹ sprach ich mit pathetischer Miene zum kleinen Richter, ›wo die Schulexerzitien liegen; denn du bist selbst ein halbes. Ich will dich vergessen: denn die Welt würde dich ohnehin vergessen haben. Du bist zu jung, um alt zu werden.‹« Er fand die Sprache mit Antithesen überladen. Die wenigen Wochen hatten hingereicht, ihn die Mängel seiner ersten größeren Arbeit sehen zu lassen.
    Es ist außerordentlich bezeichnend für Jean Paul, daß er die Flinte nicht ins Korn warf, sondern mit kurzem Entschluß sich sofort an die Ausarbeitung eines neuen Buches machte, das auch im Umfang das »Lob der Dummheit« um ein Mehrfaches übertreffen sollte. Er war wie ein Spieler, der den Verlust durch Verdoppelung des Einsatzes auszugleichen sucht und die Gewißheit des Erfolges mit visionärer Sicherheit vor sich sieht. In sechs Monaten schuf er »einen nagelneuen Satyr«, die »Grönländischen Prozesse«. Dieses erste Buch Jean Pauls, das gedruckt werden sollte, wurde unter den größten Entbehrungen geschrieben. »Denken Sie sich den verdrießlichen Mißklang zwischen dem Belachen fremder Torheiten und dem Unmut über das eigene Schicksal.« Es war eine Gigantenleistung, nicht als Werk, aber in der Überwindung der inneren und äußeren Hemmnisse. Jean Paul ist sein Leben lang stolz darauf gewesen, diesen seinen Erstling mit neunzehn Jahren in sechs Monaten sich abgerungen zu haben. Er selbst empfand ja erst später in ganzem Umfang den Widerstreit dieser rationalistischen Satire zu seinem Wesen. Er quälte sich in eine Schreibweise, die ihm im Grunde zuwider war, zwang sich ein Lachen ab, das in spielerischen Antithesen seinen Ausdruck fand und nicht Heiterkeit, sondern allenfalls leere Bewunderung seines Geistes erregen konnte. Er, der kaum einen Blick aus seiner Studierstube, aus seinen Büchern hinaus getan hatte, forderte das Leben in seinen glänzendsten Erscheinungen vor das Forum seines Witzes und schraubte sich zu einem überlegenen, blasierten Standpunkt empor. Höfe und Höflinge, Gelehrte und Akademien forderte er heraus. Über Weiber und Staatsmänner ergoß sich sein Spott. Und währenddessen sah er immer sich selbst, mit Hunger und Entbehrungen ringend, nach Teilnahme am Leben erst begierig, in seiner einsamen Dachstube, neben sich Wand an Wand den Freund, der seine Armut teilte und die Reinschrift besorgte, weil Jean Paul nicht deutlich genug für den erhofften Setzer zu schreiben fürchtete.
    Vierzig Jahre später schilderte Jean Paul in der Vorrede zur zweiten Auflage die Situation, in der das Buch entstand. »Während dieses schriftstellerischen Umgangs nahm der Winter mit seiner und – meiner Armut zu.« Während das Manuskript bei den Verlegern herumreiste, »stand der Vater viel von dem aus, was man im gemeinen Leben ungeheizte Öfen und ungesättigte Magen nennt«. Nur mit äußerster Anspannung des letzten Willens konnte er ein Manuskript vollenden, das so gar nicht seine poetischen Schöpferkräfte aufrief und nur literarischen Gedankenspielereien Raum verstattete. Er mußte zusehen, wie seine Lage von Tag zu Tag hoffnungsloser wurde und wie die Armut der Seinen zu Hause stieg. Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Adam war, nicht mehr fähig, das Elend zu ertragen, fortgelaufen und

Weitere Kostenlose Bücher