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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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nähern Schießscheiben als nach dieser weißen droben. Geheiratet wird da mit wahrer Lust, ohne daß man sich vorher totgeschossen oder totgeseufzet – man kennt keine Hindernisse der Liebe als kirchliche – die weibliche Tugend ist eine Gürtelschnalle, die so lange halten soll als der Geschlechtname der Tochter – die Herzen der Töchter sind da wie Briefumschläge, die sich, wenn sie einmal an einen Herrn überschrieben waren, leicht umstülpen lassen, damit man darauf die Aufschrift an einen andern Menschen mache – die Mädchen lieben da nicht aus Koketterie, sondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen arme Teufel…
    Kurz, mein Korrespondent, von dem ich alles habe, ist fast parteiisch für Klein-Wien eingenommen und widerspricht daher heftig dem Verfasser des reisenden Franzosen , der irgendwo gesagt haben soll – hätt’ ich ihn im Hause, so wüßt’ ich, wie eigentlich Klein-Wien heiße –, daß der Flachsenfinger wenigstens zum Räuber nicht Kraft genug besitze. Knef aber sagt, er wolle hoffen, daß sie schon gestohlen haben, und stützt sich auf die, die man aufgehangen.
    Ende des flüchtigen Extrablättchens, worin der närrische Charakter der Flachsenfinger skizzieret wurde – oder des perspektivischen Aufrisses der Stadt Klein-Wien
     
     
    *
     
    Aber unter solchen Menschen konnte mein Held bei aller Duldung keine frohe Tage finden, er, der allen Eigennutz, zumal den schmausenden, so haßte, und der gern in Doktor Grahams Vorlesungen hospitiert hätte, worin dieser lehrte, ohne Essen zu leben – er, der in sein Herz so gern den von der Poesie geflügelten Samen der Wahrheit aufnahm; der einen Emanuel am Herzen trug und den Mangel an poetischem Gefühle sogar für ein Zeichen hielt, daß der moralische Mensch noch nicht alle Raupenhäute weggelegt – er, der das ganze Leben und den ganzen Staatskörper für die Hülse ansah, worin der Kern des zweiten Lebens reift – – o! wer so denkt, ist zu einsam unter denen, die anders denken!
    – So lag die Welt um ihn, als er ein Blatt von der guten Pfarrerin bekam: »Man sagt hier allgemein, Sie wären gestorben. Aber ich lasse mich gegen die Leute vernehmen, Sie müßten, da Sie so wenig von sich hören ließen und alle Welt vergäßen, eben deswegen noch am Leben sein. Bestätigen Sie meinen Satz! Wir sehnen uns alle herzlich und närrisch nach Ihnen, und ich möchte Sie wohl bitten, den einundzwanzigsten zu kommen (wenn Sie nicht die Hochzeit beim Stadtsenior mehr hindert als meinen Flamin). Wir haben Ihnen hier nichts anzubieten als den Geburttag unserer Klotilde. O guter Mylord, o geliebte Lordship, wie wars Denenselben bisher möglich, so lange stumm und unsichtbar zu bleiben? Eine treue Freundin, die gar nichts von den Damen Ihres Hofes an sich hat, nicht einmal die Veränderlichkeit, wünschet Sie herzlich vor ihr Auge und vor ihr Ohr – und diese Dame bin ich – und wenn ich Sie kommen sehe, werde ich doch vor Freude weinen, ich mag dabei lachen oder schmollen, wie ich will. E.«
    Wann erhielt er dieses Blatt voll Seele? Und welche Antwort gab seine darauf? –
    – Es war am schönsten Abend, der die Ankunft des schönsten Sonntagmorgens und des magischen Nachsommers ansagte – er sah nach der Abendröte, unter welcher Maienthals Berge lagen, und sein Herz schlug ihm schwer – er sah nach der Morgenröte des Vollmonds, die über St. Lüne entglimmte, und seine Sehnsucht nach dorthin wurde unaussprechlich – – er dachte an Klotilde, deren Geburttag morgen einfiel, und ganz natürlich ging er heute – – bloß zu Bette.

19. Hundpostta g
     
    Der Friseur, der nicht lungen-, sondern singsüchtig ist – Klotilde in Viktors Traum – Extrazeilen über die Kirchenmusik – Gartenkonzert von Stamitz – Zank zwischen Viktor und Flamin – das Herz ohne Trost – Brief an Emanuel
    Der Oktober-Sonntag, womit ich diesen Posttag voll mache, war schon um 9½ morgens ein so freudiger glänzender Tag in St. Lüne, daß das ganze Pfarrhaus an den Hofmedikus dachte. – »Ach er sollte abends ins Konzert kommen!« Der Virtuose Stamitz gab eines in Le Bauts Garten. – »O lieber schon zum Mittagessen!« – »Und in meine Frühpredigt, wenn er nicht in die Kinderlehre will.« Eymann hatte dabei seine neu aufgelegte Perücke am meisten im Kopfe, die ihm Herr Meuseler heute darauf gesetzt hatte. Dieser geschickte Perückenmacher bereisete die Diözesanen (Pfarrer), die kein eignes Haar trugen, öfter und mit größern Verdiensten

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