Saemtliche Werke von Jean Paul
um die Lichter gehen sah, und den alten Pfarrmops, der ihn zu den Pfarrleuten hineinwedeln wollte und drinnen auf dem Schauplatz einer so holden Vergangenheit weiter agierte! Aber als ihn Disteln am Schlosse an die musivische auf dem innern Fußboden desselben erinnerten, so war der Neider zu beneiden, und er ging mit den schönsten Träumen, die je über sein dunkles Leben gezeichnet wurden, zum Apotheker zurück.
Am andern Tage kam Jenner nach, erfreuet über die Eltern, entzückt über die Tochter, weil jene so fein waren und diese so schön. Es kostete meinem Helden nichts als ein Wort, um den Stiefvater zur Bitte für die Anstellung der Stieftochter zu bewegen, die der Held und der Vater so gern öfter sehen wollten – und dem Stiefvater kostete es auch nur ein Wort bei der Fürstin, um seine und die fremde Bitte gewährt zu finden… Klotilde wurde Hofdame.
Sogleich darauf drang der Minister von Schleunes im Glückwunschschreiben den Viertels-Flügel seines Hauses Klotildens Eltern auf und war in der Epistel froh, »daß eine höhere Bitte die seinige mit so vielem Erfolge wiederholet hätte«. – Ich stelle diesen Edeln allen Weltleuten zum Muster auf; wiewohl sich jetzt alles im moralischen Sinne, wie die Wiener im heraldischen, edel schreibt.
Viktor, der mit seinen Seelenaugen den ganzen Tag dem Kammerherrn ins Fenster guckte, konnte es kaum erwarten, Klotilde erstlich in St. Lüne zu sehen, und zweitens am Hofe. Er verschob den Besuch von Tag zu Tag – und machte ihn von Nacht zu Nacht im Traume. Nicht einmal die Besuchkarte – seinen Brief an den Pfarrer – hatt’ er fortgeschickt: er wollt’ ihn nicht nur selber bringen, sondern auch gar unterschlagen. Aber diesen letzten Gedanken – den Brief zu unterdrücken, weil etwan Klotilde diese boshafte Konduitenliste der Höfe in die Hände und daraus Widerwillen gegen das neue Amt bekommen könnte – schleuderte er, wie Paulus die Schlange, sogleich aus seiner Seele hinaus: wehe dem Herzen, das nicht aufrichtig ist gegen ein aufrichtiges, nicht groß gegen ein großes und warm gegen ein warmes, da es schon alles dieses sein müßte gegen eines, das nichts von allem diesem wäre!
Übrigens bedurft’ er eines solchen Besuchs und eines solchen Gegenbesuchs täglich stärker; denn er war nicht glücklich: daran war außer ihm schuld 1) der Fürst, 2) Flamin, 3) neuntausendundsiebenunddreißig Personen. Der Fürst konnte nicht viel dafür; er goß das ganze Füllhorn seiner Liebe über den Doktor aus und nahm diesem alle Freiheit weg, die er anfangs so heilig zu bewahren willens gewesen. Viktor schüttelte den Kopf, sooft er sein Tagebuch oder Schiffjournal der Lebensfahrt (auf Geheiß seines Vaters) weiterschrieb und aus seiner Seekarte ersah, daß er ganz andere Meere und Grade der Länge und Breite passieret war, als er oder sein Vater haben wollte: »Inzwischen land’ ich doch richtig«, sagt’ er. –
Aber sein Flamin tat seiner Seele weher, die überall zuviel Liebe suchte und gab. Er wollte dem Rate mit der Nachricht von Klotildens Hofamt eine Freude machen, die seiner eigenen glich; aber der empfing sie so kalt wie ihren Überbringer. Der Aktenstaub lag dick auf den Orgelpfeifen seines Gemüts. – Angekettet an den Session- und Schreibetisch, war er jetzt, wie angekettete Hunde, wilder als vorher ungefesselt. – Die Bemühungen seiner Kollegen, den Staats-Körper zu einem Anagramma auszurenken, erhielten von ihm den verdienten Beifall nicht. – Auch setzte sich in seiner Seele der Sauerteig der freundschaftlichen Eifersucht an, der es nicht recht war, daß sein Viktor ihn seltener und andre öfter sah. – Am meisten erboste ihn Viktors Weigern, als er ihn um Begleitung nach St. Lüne ersuchte … Kurz: er war arg.
Die 9037 Mann, die für meinen Helden 9037 Plagegötter waren, sind die Herren Flachsenfinger samt und sonders vermittelst ihres närrischen Charakters, der nicht hier skizzieret zu werden verdient, sondern in einem flüchtigen Extrablättchen.
Flüchtiges Extrablättchen, worin der närrische Charakter der Flachsenfinger skizziert wird – oder perspektivischer Aufriß der Stadt Klein-Wien.
Klein-Wien heißen viele mein Flachsenfingen, so wie es ein Klein-Leipzig, Klein-Paris u. s. w. gibt. Es können aber wohl zwei Städte nicht weiter voneinander in Sitten abstehen als Flachsenfingen, wo man sein Leben und seine Seele verfrißt und versäuft, und Wien, wo man vielleicht den entgegengesetzten Fehler eines spartischen
Weitere Kostenlose Bücher