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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Wachen – sie hatten sich aber meinetwegen so in Schweiß gesetzt, daß ich ihrentwegen auch darin lag. Da ich aufwachte: dacht’ ich anfangs, es wär’ ein Traum; aber bei mehrem Aufwachen merkt’ ich, daß es, die Namen ausgenommen, die gestohlne Geschichte meiner Nachbarschaft war. Freilich ärgert michs so gut, als würde die Illumination und der musikalische Lärm meinetwegen veranstaltet, daß die Untertanen beide bloß in der boshaften Absicht machen, ihren großen oder kleinen Regenten durch Ekel und Plage wieder auf seine Reise zurückzujagen; was sie offenbar den orientalischen Karawanen abgelernt, die gleichfalls durch Trommeln und Feuerschlagen wilde Tiere sich vom Leibe halten.

Dritter Sektor oder Ausschnit t
     
    Unterirdisches Pädagogium – der beste Herrnhuter und Pudel
    Jetzo geht erst meine Geschichte an; die Szene ist in Auenthal oder vielmehr auf dem Falkenbergischen Bergschlosse, das einige Ackerlängen davon lag. Das erste Kind der Schachamazone und des sterbenden Fechters und Rittmeisters im Schach war Gustav , welches nicht der erhabene schwedische Held ist, sondern meiner. Sei gegrüßet, kleiner Schöner, auf dem Schauplatze dieses Lumpenpapiers und dieses Lumpenlebens! Ich weiß dein ganzes Leben voraus, darum beweget mich die klagende Stimme deiner ersten Minute so sehr; ich sehe an so manchen Jahren deines Lebens Tränentropfen stehen, darum erbarmet mich dein Auge so sehr, das noch trocken ist, weil dich bloß dein Körper schmerzet – ohne Lächeln kommt der Mensch, ohne Lächeln geht er, drei fliegende Minuten lang war er froh. Ich habe daher mit gutem Vorbedacht, lieber Gustav, den frischen Mai deiner Jugend, von dem ich ein Landschaftstück ins elende Fließpapier hineindrücken soll, bis in den Mai des Wetters aufgehoben, um jetzo, da alle Tage Schöpfungtage der Natur sind, auch meine Tage dazu zu machen, um jetzo, da jeder Atemzug eine Stahlkur ist, jeder Schritt vier Zolle weiter und das Auge weniger vom Augenlid verhangen wird, mit fliegender Hand zu schreiben und mit einer elastischen Brust voll Atem und Blut! –
    Zum Glück bleibt es vollends vom 2 ten bis zum 27 ten Mai (länger beschreib’ ich nicht daran) recht hübsches Wetter; denn ich bin ein wenig ein meteorologischer Clair voyant, und mein kurzes Bein und mein langes Gesicht sind die besten Wetterdarmsaiten in hiesiger Gegend.
    Da Erziehung weit weniger am innern Menschen (und weit mehr am äußern) ändern kann, als Hofmeister sich einbilden: so wird man sich wundern, daß bei Gustav gerade das Gegenteil eintrat; denn sein ganzes Leben klang nach dem Chorton seiner überirdischen, d. h. unterirdischen Erziehung. Der Leser muß nämlich aus seinem ersten Sektor noch im Kopfe haben, daß die herrnhutisch gesinnte Obristforstmeisterin von Knör ihre Tochter Ernestine nur unter der Bedingung sich selber durch das Schach ausspielen ließ, daß der gewinnende Bräutigam in den Ehepakten verspreche, das erste Kind acht Jahre unter der Erde zu erziehen und zu verbergen, um dasselbe nicht gegen die Schönheiten der Natur und die Verzerrungen der Menschen zugleich abzuhärten. Vergeblich stellte der Rittmeister Ernestinen vor: »so verzög’ ihm ja die Schwiegermutter den Soldaten zu einer Schlafhaube, und man sollte nur warten, bis ein Mädchen käme.« Er ließ auch wie mehre Männer den Unmut über die Schwiegermutter ganz am Weibe aus. Aber die Alte hatte schon vor der Taufe einen himmlischschönen Jüngling aus Barby verschrieben. Der Rittmeister konnte wie alle kraftvolle Leute das herrnhutische Diminuendo nicht ausstehen; am meisten redete er darüber, daß sie so wenig redeten; sogar das war nicht nach seinem Sinne, daß die herrnhutischen Wirte ihn nicht sowohl überschnellten als zu sehr überschnellten.
    Allein der Genius – diesen schönen Namen soll er vorjetzt auf allen Blättern haben – lag nicht an jenen das Herz einschraubenden Krämpfen des Herrnhutismus krank, und er nahm bloß das Sanfte und Einfache von ihm. Über seinem schwärmerischen trunknen Auge glättete sich eine ruhvolle schuldlose Stirne, die das vierzigste Jahr ebenso unrastriert und ungerunzelt ließ wie das vierzehnte. Er trug ein Herz, welches Laster, wie Gifte Edelsteine, zerbrochen hätten; schon ein fremdes von Sünden durchackertes oder angesäetes Gesicht beklemmte schwül seine Brust, und sein Inneres erblaßte vor dastehenden Schmutzseelen, wie der Saphir an dem Finger eines Unkeuschen seinen Blauglanz verlieren

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