Saemtliche Werke von Jean Paul
soll.
Gleichwohl mußte eine solche vieljährige Aufopferung für ein Kind sogar auf eine so schöne Seele wie des Herrnhuters schwer und hart aufdrücken; aber er sagte: »o welche himmlische Anlässe hab’ er dazu, die er aber nur seinem Gustav, der gewiß mit Gottes Hülfe so aufblühe, wie er hoffe, künftig vertraue; und niemand solle sich doch über sein scheinbares Selbst-Hinopfern zu einem wahren tiefen Erden -Leben wundern.« – Und in der Tat werden feinere Leser, die weit denken, hoff’ ich, nicht sich wundern, sondern vielmehr sich anstellen, als fänden sie ein solches Erzieh-Heldentum eben recht natürlich. Übrigens ist wohl die Tugend der meisten Menschen mehr nur ein Extrablatt und Gelegenheitgedicht in ihrem Zeitung- und Alltagleben; allein zwei, drei und mehre Genien sind doch vorhanden, in deren epischem Leben die Tugend die Heldin ist und alles übrige nur Nebenpartie und Episode und deren Steigen vom Volke mehr angestaunet als bewundert werden kann.
Die ersten dunkeln Jahre lebte Gustav mit seinem Schutzengel noch in einem überirdischen Zimmer; er trennte ihn bloß von den heillosen Kipperinnen und Wipperinnen der Kindheit, denen wir ebenso viele lahme Beine als lahme Herzen zu danken haben – Mägden und Ammen. Ich wollte lieber, diese Unhuldinnen erzögen uns im zweiten Jahrzehend als im zweiten Jahr.
Der Genius zog darauf mit seinem Gustav unter eine alte ausgemauerte Höhlung im Schloßgarten, von der es der Rittmeister bedauerte, daß er sie nicht längst verschütten lassen. Eine Kellertreppe führte links in den Felsenkeller und rechts in diese Wölbung, wo eine Kartause mit drei Kammern stand, die man wegen einer alten Sage die Dreibrüder-Kartause nennte; auf ihrem Fußboden lagen drei steinerne Mönche, welche die ausgehauenen Hände ewig übereinander legten; und vielleicht schliefen unter den Abbildern die stummen Urbilder selber mit ihren untergegangnen Seufzern über die vergehende Welt. Hier wartete bloß der schöne Genius über den Kleinen und bog jeden knospenden Zweig desselben zur hohen Menschengestalt empor.
Elende Umständlichkeit, z. B. über die Lieferanten der Wäsche, der Betten und Speisen, werden mir Frauenzimmer am liebsten erlassen; aber sie werden begieriger sein, wie der Genius erzog. Recht gut, sag’ ich, er befahl nicht, sondern gewöhnte und erzählte bloß. Er widersprach weder sich noch dem Kinde, ja er hatte das größte Arkanum, ihn gut zu machen – er wars selbst. Ohne dieses Arkanum könnte man ebensogut den Teufel zum Informator dingen als sich selber, wie die Töchter schlimmer Mütter zeigen. Der Genius glaubte übrigens, beim ersten Sakramente (der Taufe) gehe die Bildung des Herzens an, beim zweiten (Abendmahl) die des Kopfes.
Von guten Menschen hören ist so viel als unter ihnen leben, und Plutarchs Biographien wirken tiefer als die besten Lehrbücher der Moralphilosophie zum Gebrauche – akademischer Lehrer. Für Kinder vollends gibts keine andere Sittenlehre als Beispiel, erzähltes oder sichtbares; und es ist erzieherische Narrheit, daß man durch Gründe Kindern nicht diese Gründe, sondern den Willen und die Kraft zu geben meinet, diesen Gründen zu folgen. O tausendmal glücklicher als ich neben meinem Tertius und Konrektor lagst du, Gustav, auf dem Schoße, in den Armen und unter den Lippen deines teuern Genius, wie eine trinkende Alpenblume an der rinnenden Wolke, und sogest dein Herz an den Erzählungen von guten Menschen groß, die der Genius sämtlich Gustave und Selige nennte, von denen wir bald sehen sollen, warum sie mit Schwabacher gedruckt sind! Da er gut zeichnete, so gab er ihm, wie Chodowiecki dem Romanenmacher, die Zeichnung jeder Geschichte und umbauete den Kleinen mit diesem orbis pictus guter Menschen wie der allmächtige Genius uns mit der großen Natur. Aber er gab ihm die Zeichnung nie vor , sondern nach der Beschreibung, weil Kinder das Hören zum Sehen stärker zieht als das Sehen zum Hören. Ein anderer hätte zu diesem pädagogischen Hebebaum statt der Reißfeder den Fiedelbogen oder die Klaviertaste genommen; aber der Genius tat es nicht; das Gefühl für Malerei entwickelt sich wie der Geschmack sehr spät und bedarf also der Nachhülfe der Erziehung. Es ist der frühesten Entwicklung wert, weil es das Gitter wegnimmt, das uns von der schönen Natur absondert, weil es die phantasierende Seele wieder unter die äußern Dinge hinaustreibt und weil es das deutsche Auge zur schweren Kunst abrichtet, schöne
Weitere Kostenlose Bücher