Saemtliche Werke von Jean Paul
Kompagnie dieser auf zwei Füße gestellten Schafe. Der Fräuleinschober hingegen hieb in alles ein; im Flüssigen und Festen war er wie ein Amphibium zu Hause, sie hatten in ihrem kauenden und klappernden Leben nie etwas gereget als die Zunge. – Als nun für so viele Zuschauer das Wundertier her sollte: wars – weg. Alles wurde ausgestöbert, langverlorne Dinge wurden gefunden, in alles hineingeschrien, in jeden Winkel und Busch – kein Gustav! Der Rittmeister, dessen anfangende Betrübnis immer eine Art Zorn war, ließ die ganze sehlustige Schwesterschaft sitzen; die Rittmeisterin aber, deren Betrübnis noch weichere Teile angriff, setzte sich kosend zu ihr. Als aber alle ängstliche, fragende, laufende Gesichter immer trostloser zurückkamen und als man gar hinter dem offnen Schloßtor, wo der Kleine abgerißne Blumen in kleine beschattete Beete steckte, diese noch naß von seinem Begießen fand: so zerknirschte die Verzweiflung die Gesichter der Eltern; »ach der Engel ist gewiß in den Rhein gestürzt«, sagte sie, er aber sagte nichts dagegen. Zu einer andern Zeit hätt’ er einen solchen Fehlschluß mit den Füßen zerstampft; denn der Rhein floß eine halbe Stunde vom Schlosse; aber hier schloß in beiden die Angst, die weit tollere Sprünge tut als die Hoffnung. Ich rede hier deswegen von einer andern Zeit, weil mir bekannt ist, wie sonst der Rittmeister war: nämlich aus Mitleiden aufgebracht gegen den Leidenden selber. Niemals z. B. fluchten seine Mienen mehr gegen seine Frau, als wenn sie krank war (und ein einziges schnelles Blutkügelchen stieß sie um) – klagen sollte sie dabei gar nicht – war das, auch nicht seufzen – war auch das, nur keine leidende Miene machen – gehorchte sie, überhaupt gar nicht krank sein. Er hatte die Torheit der müßigen und vornehmen Leute, er wollte stets fröhlich sein.
Hier aber, da einmal sein Glücktopf in Scherben lag, versüßete ein fremder Seufzer seinen eignen und seinen Zorn über die unachtsame Hausdienerschaft und über den dürren Schwester- und Grummetschober.
Als das Kind die Nacht ausblieb und den ganzen Vormittag und als man gar im Walde auf der Kunststraße sein Hütchen antraf: so verwandelten sich die Stiche der Angst in das forteiternde Schmerzen dieser Stichwunden. Gegen keine Gemüterschütterung ist ein guter Gegenbeweis so schwer zu führen als gegen die Angst; ich führe daher gar keinen seit Jahr und Tag, sondern ich gebe ihr das Ärgste, was sie behauptet, sofort willig zu und falle dann bloß die andere Gemütbewegung, die aus dem besorgten Ärgsten kommen kann, mit der Frage an:»Und wenns nun wäre?«
Jeder Fliegenschwamm im Walde wurde breitgetreten und jeder Baumspecht aufgejagt, um den Kopf zum Hut zu finden – aber vergeblich; – und am dritten Tage ging der Rittmeister, dessen Gesicht eine Ätzplatte des Schmerzes war, ohne Absicht zu suchen so vertieft im Walde herum, daß er einen mit Koffern und Bedienten ausgelegten Reisewagen durch das Gebüsch schwerlich hätte fliegen sehen, wenn nicht daraus wie ein Freuden-Donnerschlag die Stimme seines verlorenen Sohnes ihn erschüttert hätte. Er rennt nach, der Wagen schießet voraus, und im Freien sieht er ihn schon hinter seinem Schlosse stäuben. Außer sich kommt er in Schloßhof angestürmt, um nachzusprengen und um es – bleiben zu lassen. Denn oben an der Haustüre stand die in einen Knäul zusammengelaufne Schloß-Genossenschaft schon um den Gustav, die Schloßhunde bellten, ohne einen gescheiten Grund zu haben, und alles sprach und fragte so, daß man gar keine Antwort des Kleinen vernahm. Der vorbeifliegende Wagen hatte ihn ausgesetzt. Am Halse hing in einem schwarzen Bande sein Porträt. Seine Augen waren rot und feucht von den Qualen der Heimsucht. Er erzählte von langen langen Häusern, wofür er Gassen hielt, und von seinem Schwesterchen, das mit ihm gespielet, und vom neuen Hute; es wär’ aber keine Seele daraus klug geworden, hätte nicht der Koch eine entfallne Karte zu seinen Füßen erblickt. Diese las der Rittmeister und sah, daß er sie nicht lesen sollte, sondern seine Frau. Er verdolmetschte es aus dem mit weiblicher Hand geschriebenen Italienischen so:
»Kann sich denn eine Mutter bei einer Mutter entschuldigen, daß sie ihr Kind ihr so lang entzogen? Wenn Sie mir auch meinen Fehler nicht vergeben: ich kann ihn doch nicht bereuen. Ich traf Ihren lieben Kleinen vor drei Tagen im Walde irrend an, wo ich ihn in meinen Wagen stahl, um ihn vor
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