Saemtliche Werke von Jean Paul
t
Gewaltsame Entführung des schönen Gesichts – Richtiges Porträt
Das Erstaunen Gustavs, zu dem ihn den ganzen Tag ein Gegenstand nach dem andern anstrengte, und die Entbehrung des Schlafs endigten seinen ersten Himmeltag mit einem Fieberabend, den er würde verweint haben, auch ohne einen Grund. Aber er hatte einen: sein Genius war während des Tumultes im Garten mit einem sprachlosen Kusse von dem Liebling fortgezogen und hatte nichts zurückgelassen als der Mutter ein Blättchen. Er hatte nämlich ein Notenblatt in zwei Hälften zerschnitten; die eine enthielt die Dissonanzen der Melodie und die Fragen des Textes dazu, auf der andern standen die Auflösungen und die Antworten. Die dissonierende Hälfte sollte sein Gustav bekommen; die andere behielt er: »Ich und mein Freund«, sagt’ er, »erkennen einmal in der wüsten Welt einander daran, daß er Fragen hat, zu denen ich Antworten habe.« Auch den Pudel, der immer größer wurde, nahm er mit….. Wo werden wir dich wiedersehen, unbekannter schöner Schwärmer? Du erfährst es nicht, wie dein verwaiseter Zögling abends rufet und schluchzet nach dir, und wie ihm der neue gestirnte Himmel nicht so gefället als seine Stubendecke mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer zur stillen Höhle ummalen, in der er dich geliebt hatte und du ihn. Ebenso bücken wir uns am Lebens-Abend an alten Gräbern unsrer frühen Freunde, die niemand bedauert als wir; bis endlich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein fremder Jüngling beerdigt; aber keine einzige Seele erinnert sich der schönen Jugend des letzten Greises! –
Am Morgen war er wieder gesund und froh; die Sonne trocknete sein Auge aus, und das Nebelbild seines Genius zog in der Hülle der letzten Nacht sich weit zurück. Es tut mir leid, daß ichs seinen Jahren und seinem Charakter beizumessen habe, daß er, die Abendstunden der schmerzlichsten Sehnsucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das Bild eines Freundes durch nähere Bilder in den Hintergrund verschieben ließ. Alle Blumen waren jetzo Spielzeug für ihn, jedes Tier ein Spielkamerad und jeder Mensch ein Vogel Phönix; jede Himmelsveränderung, jeder Sonnenuntergang, jede Minute überschüttete ihn mit Neuigkeiten.
Es war ihm wie vornehmen Kindern, die aufs Land hinauskommen; alles begucken, betasten, bespringen sie in der neuen Erde und dem neuen Himmel. Denn es ist ein unbeschreibliches Glück für stiftfähige Kinder, daß ihre Eltern, die sonst aus der Natur sich wenig machen, sie dennoch zwischen hohen Zimmern und hohen Häusern, die nicht 38 Quadratschuhe vom Himmel sichtbar lassen, wie in Treibgärten mit hohen Mauern erziehen, damit die Natur ihnen so wenig als ihre Eltern unter die Augen komme; dadurch erhält sich ihr Gefühl für beide ebenso unverhärtet über der Erde, als würden sie wirklich unter ihr erzogen; ja sie sehen den Sonnenaufgang zum ersten Male fast noch später als Gustav, – auf der Postkalesche oder in Karlsbad. –
Seine Eltern ließen ihn als einen Neugebornen ungern von der Seite, kaum in den Schloßgarten und nicht zum Berg hinunter, wo ihm die Poststraße gefährlich war. Auch hatt’ er aus seiner unterirdischen Schulpforte eine gewisse Verlegenheit mit heraufgebracht, die mittelmäßige Menschen und fast sein Vater für Einfalt nehmen, welche aber höhere Menschen, sobald sie in Gesellschaft eines nicht stieren, sondern überfüllten schwärmerischen Auges wie bei ihm erscheint, für das Ordenkreuz ihres Ordenbruders halten. Gleichwohl bereueten es seine Eltern acht Tage darauf, nicht, ihn eingesperrt, sondern, ihn hinausgelassen zu haben.
Die Obristforstmeisterin von Knör und ein Faszikel Herrnhuter und Herrnhuterinnen waren mit ihr gekommen, den Zögling des Grabes zu hören; ein Grummetschober alter Fräulein hatte schon vier Wochen vorher eingesprochen, und jetzo wieder, um nur ein solches Wunderkind ansichtig zu werden. Die herrnhutischen Brüder waren lebhaft und frei mit Anstand; die Schwestern mauerten sich sämtlich um eine Standuhr, deren Gehäuse mit Engeln als Hornisten gerändert war – sie waren von den Hornisten nicht wegzubringen. Beizubringen war ihnen auch nichts; Maul und Augen machten sie auch nicht auf, und der Rittmeister wurde schwarz vor verhaltenem Ärger. Endlich tippte die Lippe einer Schwester an ein Weinglas, die andern tippten nach – so viel die eine vom Gebacknen abknickte, so viel bröckelten die andern sich zu – ein Zuck regte die ganze obligate
Weitere Kostenlose Bücher