Saemtliche Werke von Jean Paul
schlimmern Dieben zu bewahren und um seine Eltern auszufinden. – Ach, ich will es Ihnen nur sagen: ich hätt’ ihn auch mitgenommen, wenn auch beides nicht gewesen wäre. O nicht, weil er so himmlisch schön, sondern weil er so ganz, sogar bis auf die Haare, wie mein teuerer verlorner Guido aussieht, kann ich ihn kaum lassen. Ach es sind schon viele Jahre, daß mir das Schicksal auf eine sonderbare Art mein liebstes Kind lebendig aus dem Schoß genommen. Ihres kommt heute wieder, meines vielleicht nie! – Das Hals-Gehenk verzeihen Sie. Das Porträt werden Sie für seines halten, so ähnlich ist er meinem Sohn; aber es ist das meines Guido. Sein eignes ließ ich mir auch malen und behalt’ es, um das Ebenbild meines Guten doppelt zu haben. Sollt’ ich einmal Ihren Gustav aufgeblüht zu Gesicht bekommen: so würd’ ich ihn lange anschauen, ich würde denken: so muß mein Guido jetzt auch aussehen, so viel Unschuld wird er auch im Auge haben, so sehr wird er auch gefallen. – Ach meine Kleine weint, daß ihr Spielgenosse wieder wegfahren soll – und ich tu’ es auch; sie gibt nur einen Bruder, aber ich einen Sohn zurück. Mögen Sie und er glücklicher sein! – Meinen Namen schenken Sie mir.«
Sie rieten alle über die Verfasserin hin und her. Der Rittmeister allein sagte traurig nichts; ich weiß nicht, ob aus Kummer über die Erinnerungen an seinen ersten verlornen Sohn, oder weil er gar wie ich über die ganze Sache dachte. Ich vermute nämlich, der verlorne Guido ist eben sein eignes Kind; und die Briefstellerin ist die Geliebte, die ihm der Kommerzien-Agent Röper aus den Händen gewunden hatte. Ich werde erst nachher sagen warum.
Gustavs Schönheit kann man erstlich aus der Vernunft oder von vornen dartun, zweitens von hinten. Sein Treibhaus, das ihn auferzog und zudeckte, bleichte ganz natürlich seine Lilienhaut zu einem weißen Grund, auf welchen zwei blasse Wangenrosen oder nur ihr Widerschein und die dunklere feste Rosenknospe der Oberlippe geblasen waren. Sein Auge war der offne Himmel, den ihr in tausend fünfjährigen und nur in zehn funfzigjährigen Augen antrefft; und dieses Auge wurde noch dazu von langen Augenwimpern und von etwas Schwärmerischen verschleiert oder verschönert. Endlich hatten weder Anstrengung noch Leidenschaften ihren Waldhammer und die scharfen Lettern desselben in dieses schöne Gewächs geschlagen, und ihm war noch kein Todesurteil, das seinen Fall bezeichnet, in seine Rinde eingeschnitten. Alles Schöne aber ist sanft; daher sind die schönsten Völker die ruhigsten; daher verzerret heftige Arbeit arme Kinder und arme Völker.
Es ist aber noch kein Jahr, daß ich Gustavs Schönheit von hinten beweisen kann. Denn da der Auktionproklamator damals mein intimster Freund war: so beging er mir zu Gefallen den kleinen Schelmenstreich, daß er die Gemälde und Kupferstiche gerade an einem Tage versteigerte, wo der Maskerade wegen kein Mensch gerade von der großen Welt aus Unterscheerau in die Versteigerung kam, mich ausgenommen; ich erstand für Sündengeld tausend Dinge. Die ganze Stadt und Vorstadt hatte zu diesem Schutthaufen von Möblen zugetragen und war Verkäuferin und Käuferin zugleich. In dieser Auktion erschienen alle europäische Potentaten, aber elend gezeichnet und koloriert; und ein Edelmann von bon sens hielt seine beiden Eltern feil und wollte sie als gute Kniestücke verstechen – in Rom verhandelten umgekehrt die Eltern die Kinder, aber in natura. Der Edelmann hoffte, ich würde auf seinen Papa und seine Mama bieten; aber ich war bei nichts der Mehrbieter als bei Gustavs Porträt, das er auch losschlug. Der Edelmann hieß – Röper, von dem ich oben gesagt, daß er an einem Tage Ehemann und Stiefvater geworden.
Und hier hängst du ja, Gustav, mir und meinem Schreibtisch gegenüber, und wenn ich über etwas sinne, so stößet mein Auge immer auf dich. Viele tadeln mich, mein kleiner Held, daß ich dich hier zwischen Shakespeare und Winckelmann (von Bause) aufgenagelt; aber hast du nicht – das bedenken zu wenige – einen Nasen-Schwibbogen, auf dem schwere und hohe Gedanken ruhen, einen solchen, der oft unter der Hand des Todes sich noch schöner wölbt, und hast du nicht unter dem Knochen-Architrav ein weites Auge, durch das die Natur wie durch eine Ehrenpforte in die Seele zieht, und ein gewölbtes Haus des Geistes und alles, womit du deine in Kupfer gestochne Nachbarschaft verdienest und aushältst?
Der Leser sollte wissen (es geschieht aber
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