Saemtliche Werke von Jean Paul
Ähnlichkeiten aus entlegnen Wissenschaften anzuhören, zu verstehen und dadurch selber zu erfinden. Z. B. alles Große oder Wichtige bewegt sich langsam: also gehen gar nicht die orientalischen Fürsten – der Dalai Lama – die Sonne – der Seekrabben; weise Griechen gingen (nach Winckelmann) langsam – ferner tut es das Stundenrad – der Ozean – die Wolken bei schönem Wetter. – Oder: im Winter gehen Menschen, die Erde und Pendule schneller. – Oder: verhehlt wurde der Name Jehovas – der orientalischen Fürsten – Roms und dessen Schutzgottes – die sibyllinischen Bücher – die erste altchristliche Bibel – die katholische – der Vedam etc. Es ist unbeschreiblich, welche Gelenkigkeit aller Ideen dadurch in die Kinderköpfe kommt. Freilich müssen die Kenntnisse schon vorher da sein, die man mischen will. Aber genug! der Pedant versteht und billigt mich nicht; und der bessere Lehrer sagt eben: genug!
Siebzehnter Sekto r
Abendmahl – darauf Liebemahl und Liebekuß
O geliebter Gustav! die ausgewinterten Tage unserer Liebe schlagen in meinem Dintenfasse wieder in Blüten aus, indem ich sie vorzeichne! Hast du, Leser, irgendeinen Frühling deines Lebens gehabt, und hängt noch sein Bild in dir. so leg es im Wintermonat des Lebens an deinen warmen Busen und gib seinen Farben Leben, wie Erwärmung das unsichtbare Frühlinggemälde des Ofens enthüllt und belebt – denk dir alsdann deine Blumentage, wenn ich unsere zeichne….. Unsere vier kleinen Wände waren die Staketen eines reichern Paradieses, als sich durch einen Augarten ausstreckt, unser Kirschbaum am Fenster war unser Dessauisches Philanthropinwäldchen, und zwei Menschen waren glücklich, ob sie gleich befahlen und gehorchten. Das Maschinenwerk des Lobes, das ich in dem Regulativ meinem Hofmeister so sehr anpries, legt’ ich beiseite, weil es nicht an einen, sondern an eine ganze Schule anzusetzen ist: mein Paternosterwerk war seine Liebe zu mir. Kinder lieben so leicht, so innig; wie schlimm muß ders treiben, den sie hassen! Auf der Skala meiner Strafen-Karolina oder Theresiana standen – statt der pädagogischen Ehren- und Leibesstrafen – Kälte, ein trauernder Blick, ein trauernder Verweis und die höchste, das Drohen, fortzugehen. Kinder von zartem Herzen und von einer immer durch den Wind aufgehobnen Phantasie wie Gustav sind am leichtesten zu wenden und zu drehen; aber auch ein einziger falscher Riß des Lenkseils verwirrt und verstockt sie auf immer. Besonders sind die Flitterwochen einer solchen Erziehung so gefährlich wie die in der Ehe mit einer feinfühlenden Frau, bei welcher ein einziger kakochymischer Nachmittag durch keine künftigen Jahr- und Tagzeiten wieder auszutilgen ist. Ich wills nur bekennen: eben einer solchen sensitiven Frau wegen bin ich Hofmeister geworden. Da die Weiber (hieß es in mir) in einem auffallenden Grade alle Vollkommenheiten der Kinder haben – die Fehler derselben schon weniger –: so kann ein Mensch, der an den so weit auseinanderstehenden Ästen der Kinder sein Gespinste anzukleben und anzuziehen weiß, d. h. der sich in Kinder schicken kann, so sehr schlimm unmöglich fahren als andre, wenn er – heiratet.
Wo der Tadel das Ehrgefühl des Kindes versehrte, da unterdrückte ich ihn, um meine Kollegen in der Runde durch das Beispiel zu lehren, daß das Ehrgefühl, das unsere Tage nicht genug erziehen, das Beste im Menschen sei – daß alle andre Gefühle, selbst die edelsten, ihn in Stunden aus ihren Armen fallen lassen, wo ihn das Ehrgefühl in seinen emporhält – daß unter den Menschen, deren Grundsätze schweigen und deren Leidenschaften ineinanderschreien, bloß ihr Ehrgefühl dem Freunde, dem Gläubiger und der Geliebten eine eiserne Sicherheit verleihe.
Sieben Tage früher, als recht war, kommunizierte mein Gustav; denn das Konsistorium – die Ferne der Pfarrherren, die Pönitentiaria der Gemeinden und die Widerlage der Regierung – schickte uns mit Vergnügen als geistige Fastendispensation oder Alters-Erlaß (venia aetatis) diese sieben Tage, um welche sein Kommunion-Alter zu leicht war, für ebensoviel Gulden geschenkt aufs Schloß heraus. Mein Zögling mußte also – der geschickteste Religionlehrer saß vergeblich zu Hause – wöchentlich zweimal zum dummen Senior Setzmann in Auenthal abmarschieren, der zum Glück kein Jurist wie ich war und in dessen Pfarrwohnung ein Rudel Katechumenen die Schnauzen in geronnene Katechismus-Milch stecken mußten – Gustav
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