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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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brachte statt des Tier-Rüssels einen zu kurzen Mund mit.
    Gleichwohl war der Senior Setzmann nicht übel; auf einem Parlaments-Wollensack hätt’ er sich zu einem Redner gesessen, d. h. zu einem Ding, das unter den Personen, die ihm anfangs nicht glauben, zuerst seine eigne überredet – Ein Redner ist so leicht zu überreden, als er überredet – Der Senior war jeden Sonntag in den ersten Stunden nach der Predigt fromm genug; er kann zwar verdammt werden, aber bloß Mangel an Predigten würd’ es tun und der an Bier. Eine vernünftige Betrunkenheit kommt beides dem aszetischen und dem poetischen Enthusiasmus unglaublich zustatten. Die Leser sind meine Freunde nicht, welche sagen, aus bloßem Ärger und Neid – daß mein Gustav seine Stunden hörte – schrieb’ ich es hier in die Welt hinaus, daß der Keller die Pauls- und Peterskirche des Seniors war – daß seine Seele, wie geflügelte Fische, nur so lange emporflog, als die Schwingen eingeölet waren – daß er immer betrunken und gerührt zugleich erschien und eher nicht in den Himmel hineinbegehrte, als bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Hermes und Oemler sagen, ich würde Ärgernis vermeiden – obgleich das Beispiel Setzmanns ein größeres geben muß als der Spaß darüber –, wenn ichs lateinisch vortrüge, daß die aquae supra coelestes seiner Augen allemal seine zwei Schuh tiefern humores peccantes begleiteten.
    Gustav ging an wehenden Frühlingnachmittagen auf jungem Grase zu ihm und freuete sich unterwegs auf zwei hübsche Dinge –: erstlich auf diesen Missionar der heidnischen Dorfjugend selber, dessen schwärmerischer Atem Gustavs Ideen, deren jede ein Segel war, wie ein Sturmwind bewegte und der besonders in der letzten, sechsten Woche, wo er die jungen Sechswöchner über den Leisten des sechsten Hauptstücks schlug, meines Gustavs Ohren so verlängerte , daß zwei Flügel daraus wurden, die mit seinem Köpfchen davongingen. – Zweitens spitzte dieser sich auf eine breite Binde über einem breiten Halstuch und dergleichen Schürze, welches alles noch dazu so blütenweiß war wie er und am schönsten Leibe in der ganzen Pfarrei saß – an Reginens ihrem, welche darin sich auf das zweite Kommunizieren vorbereitete. So etwas, mein Gustav, machte dich ganz natürlich aufmerksamer als zerstreuet – und wenn mir das Scholarchat nur eine halbe solche Muse statt des Bauchkissens meines lecken Konrektors auf dem Lehrstuhle entgegengestellt hätte: Himmel! ich würde gelernt haben, ferner memoriert, ferner dekliniert, desgleichen konjugiert, und endlich exportiert! – Deshalb war es zweitens eben keine Hexerei, Gustav – da bloß dein Ohr der Windseite vom Pastor entgegenlag, das Auge aber der Sonnenseite von Reginen –, daß du wenig dir aus der halben Stunde machtest, die der Senior darüber gab, um sein Gewissen zum Narren zu haben. Er hielt, um den Frais- und Zentherrn und Feimer im Herzen, das Gewissen, stille zu machen, seine Kinderlehren eine halbe und seine Predigten dreiviertel Stunden länger als die ganze Diözes. Der Mensch tut lieber mehr wie seine Pflicht als seine Pflicht.
    Da Gustav nicht wußte, daß Mädchen nichts übersehen und alles überhören: so war ihm der ganze Katechismus ein Liebebrief, in dem er sich mit ihr unterredete. Wenn sie dem Senior zu antworten hatte: wurd’ er rot; »der Senior«, dacht’ er,»kann sein Fragen und Quälen nicht verantworten«, und sein Sehnerve wurzelte auf ihrem Gesichte.
    Da die Falkenbergischen kein besonderes Kommunizierzimmer mit samtnen Dielen hatten: so ging meine Pate, der Rittmeister, an der Spitze ihrer Lehnleute um den Altar; also auch Gustav.
    Am Beichtsonnabend – O ihr stillen Tage meiner frömmsten Entzückungen, geht wieder vor mir vorüber und gebt mir euere Kinderhand, damit ich euch schön und treu beschreibe! – Am Sonnabend ging Gustav nach dem Essen – schon unter demselben konnt’ er vor Liebe und Rührung seine Eltern kaum ansehen – die Treppe hinauf, um nach einer so schönen Sitte den Seinigen seine Fehler abzubitten. Der Mensch ist nie so schön, als wenn er um Verzeihung bittet oder selber verzeiht. Er ging langsam hinauf, damit seine Augen trocken und seine Stimme fester würde, aber als er vor die elterlichen kam, brach ihm alles wieder, er hielt lange in seiner glühenden Hand die väterliche, um etwas zu sagen, um nur die drei Worte zu sagen: »Vater, vergib mir«; aber er fand keine Stimme, und Eltern und Kind verwandelten die Worte in stille

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