Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Pferden auch diejenigen der Getöteten zurückerhalten hatten. Jetzt ließ der Häuptling die Toten herabnehmen. Er trat vor an den Waldesrand, blickte hinab nach dem Felsenspalt und sagte: »Man wird uns beobachtet haben. Da unten steht gewiß so ein weißer Hund, welcher sehen will, ob wir wirklich nach unserm Lager zurückkehren.«
»Thun wir das denn nicht?« fragte einer seiner Leute. Jedenfalls hatte sich derselbe durch Tapferkeit oder andre Vorzüge so ausgezeichnet, daß er eine solche Frage wagen konnte.
»Hast du so wenig Hirn wie der Schakal der Prairie?« fuhr der »große Wolf« ihn an. »Es gilt, Rache an diesen bleichen Kröten zu nehmen.«
»Aber sie sind nun unsre Freunde und Brüder!«
»Nein.«
»Wir haben die Pfeife des Friedens mit ihnen geraucht!«
»Wem gehörte diese Pfeife?«
»Old Shatterhand.«
»Nun, so gilt der Schwur für ihn, aber nicht für uns. Warum war er so dumm, sich nicht meiner Pfeife zu bedienen! Siehst du das nicht ein?«
»Der »große Wolf« hat stets recht,« antwortete der Mann, welcher mit der Sophistik seines Häuptlings vollständig einverstanden war. Die Ausrede desselben mußte jeden Krieger der Utah gewiß zufriedenstellen.
»Morgen früh werden die Seelen der Bleichgesichter in den ewigen Jagdgründen sein, um uns später dort zu bedienen,« fuhr der Häuptling fort.
»Du willst sie überfallen?«
»Ja.«
»Da ist unsre Zahl zu klein, und wir können auch nicht durch den Spalt zurück, weil man denselben bewachen wird.«
»So nehmen wir einen andern Weg und holen uns so viele Krieger, wie wir bedürfen. Liegen nicht ihrer genug drüben im P’a-mow? Und führt nicht weiter oben ein Weg quer durch den Canon, den die Bleichgesichter nicht zu kennen scheinen? Die Leichen und ihre Pferde bleiben hier und zwei von euch als Wächter dabei. Wir andern reiten nordwärts.«
Dieser Entschluß wurde ausgeführt. Der Wald war zwar nur schmal, bildete aber einen stundenlangen Streifen, an welchem die Utahs im Galopp hinritten, bis die Höhe sich allmählich niedersenkte nach einer Schlucht, welche quer durch die Felsen führte. Durch diese Schlucht gelangte der »große Wolf« in den Hauptcanon, in welchem die Weißen sich befanden; freilich mündete die Schlucht wenigstens drei englische Meilen oberhalb der Lagerstelle. Gegenüber der ersteren schnitt ein enger Seitencanon in den Hauptcanon ein, doch war derselbe nicht ganz so schmal wie die Felsenspalte, in welcher heute das Zusammentreffen der Weißen mit den Roten stattgefunden hatte. Dorthin wendete sich der »große Wolf« mit seinen Leuten. Er schien den Weg sehr genau zu kennen, denn er irrte trotz der Dunkelheit nicht ein einziges Mal und führte sein Pferd so sicher, als ob er sich auf einer breiten, deutschen Heerstraße befände.
Der jetzige Canon hatte kein Wasser und stieg bergan. Bald erreichten die Roten die Scheitelhöhe der weiten Felsenebene, in welche das vielverzweigte Netz der Canons tief eingeschnitten ist. Da war es hell; der Mond stand leuchtend am Himmel. Im Galopp ging es über die Ebene, und nach einer halben Stunde fiel die Gegend in Gestalt eines breiten, sanften Einschnittes leise nieder. Rechts und links blieben die Felsen als schützende Wände stehen, immer höher werdend, je tiefer das Terrain sich senkte, und dann tauchten vorn üppige Wipfel auf, unter denen viele Feuer brannten. Es war ein Wald, ein wirklicher Wald, mitten auf oder in der von Stürmen glatt gefegten und von der Sonne ausgetrockneten und zu Stein gedorrten Ebene.
Dieser Wald verdankte sein Dasein einzig nur der Depression des Bodens. Die Stürme heulten darüber hin, ohne ihn zu treffen, und die Niederschläge konnten sich sammeln, um eine Art See zu bilden, dessen Wasser das Erdreich auflöste und für die Wurzeln fruchtbar machte. Das war der P’a-mow, der Wald des Wassers, nach welchem der »große Wolf« wollte.
Es hätte des Mondlichtes gar nicht bedurft, um sich hier zurechtfinden zu können, so zahlreich waren die Feuer, welche hier brannten. Da gab es ein reges Lagerleben, und zwar das Leben eines Kriegslagers. Man sah kein Zelt, keine Hütte. Die vielen roten Krieger, welche man erblickte, lagen an den Feuern entweder auf ihren Decken oder auf der bloßen Erde; dazwischen lagen oder standen und weideten ebenso viele Pferde. Das war der Ort, an welchem sich die Scharen der Utahs aller Stämme zum Kriegszuge zu versammeln hatten.
Als der »große Wolf« bei dem ersten Feuer ankam, hielt er an, stieg
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