Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
Rechercheergebnisse meiner Desert Flower Foundation über die nicht enden wollende Verbreitung von FGM in Europa zu präsentieren. Zusammen mit meinem Team hatte ich sogar einen Maßnahmenkatalog ausgearbeitet, über den ich vor den wichtigsten Entscheidungsträgern referierte. Und welche unserer konkreten Ideen und Vorschläge waren seither auch nur im Ansatz umgesetzt worden?
Keine. Nicht eine einzige.
Indes ging das Martyrium von Millionen Mädchen und Frauen weiter. Mädchen und Frauen, die entweder aufgrund einer Infektion einen elendigen Tod sterben oder ein Dasein mit höllischen Schmerzen fristen mussten.
»Wie wollen Sie die jungen Mädchen davor bewahren, dass sie für immer zerstört werden? Und wie gedenken Sie den Opfern zu helfen?«, setzte ich noch einmal nach.
Stille.
Abermals betrachtete Viviane Reding peinlich berührt den Fußboden, als jemand die Tür zu ihrem Büro öffnete. Schnell fasste sie sich wieder, riss die Arme in die Höhe und umarmte die Frau, die soeben den Raum betreten hatte.
»Waris, meine Liebe, darf ich Ihnen die First Lady von Burkina Faso vorstellen? Chantal Compaoré. Keine afrikanische Regierung hat mehr Erfolg im Kampf gegen FGM als die ihre.«
Blitzlichtgewitter, überall Mikrofone. Drei Kamerateams und zwei Fotografen tänzelten wild um die recht beleibte, in bunte Gewänder gehüllte Präsidentengattin herum, als würden sie einen Fruchtbarkeitstanz für sie aufführen. Mein Gespräch mit der Vizepräsidentin war damit beendet, meine Kampfeslust jedoch war neu erwacht.
Genau dieselbe Kampfeslust, allerdings gepaart mit unbändiger Wut, verspürte ich auch nach der Präsentation meines Films, während ich hinter dem Rednerpult auf der Bühne des EU -Sitzungssaales stand und meine Tränen trocknete. Vor mir saßen nicht nur etliche Spitzenpolitiker aus Europa und Afrika, sondern auch hochrangige EU -Beamte und die Vertreter wichtiger Nichtregierungsorganisationen. Sie alle hatten es in der Hand, Hunderttausende Mädchen vor einer Genitalverstümmelung zu schützen. Sich um die Opfer zu kümmern. Ihr Leben wieder lebenswert zu machen.
Es war mir ein Rätsel, warum sie das nicht schafften. Wieso sie nicht einfach die Arbeit machten, für die sie bezahlt wurden. Waren es schlicht Faulheit und Ignoranz, die sie daran hinderten? Waren diese Menschen womöglich am falschen Arbeitsplatz gelandet und von ihren wahren gesellschaftlichen Aufgaben völlig überfordert? Nur, warum überraschte mich ihre Inkompetenz eigentlich noch?
Mir war seit vielen Jahren klar, dass mich die Politiker etlicher Länder als Feigenblatt benutzten, um die Öffentlichkeit zu besänftigen und ihren Wählern zu zeigen, dass sie ihren Job ernst nahmen. Dass sie ihr Geld wert waren. Ein einziges Foto mit Waris Dirie und eine emotional formulierte Bildunterschrift genügten, um den Menschen ihren vermeintlichen Einsatz gegen die Genitalverstümmelung glaubhaft zu machen. Als sogenannter »Stargast« war ich bei internationalen Konferenzen seit Jahren gerne gesehen. Jedes Mal durfte ich meine Forderungen präsentieren und hinterher brav lächelnd für Gruppenfotos mit Präsidenten und Ministern posieren. Nur eines durfte ich nicht: hinterher nachfragen, welche meiner Forderungen denn nun tatsächlich umgesetzt würden oder mit welchen konkreten Maßnahmen sie meinen Kampf gegen FGM zu unterstützen gedachten.
Kein Wunder, dass ich in letzter Zeit nur noch selten irgendwelche Einladungen von Politikern annahm und mich lieber auf die Arbeit der Desert Flower Foundation konzentrierte. Lange hatte ich hin und her überlegt, ob ich wirklich an der Tagung der Europäischen Kommission teilnehmen sollte. Die Hoffnung, diesmal endlich über durchschlagkräftige Sanktionen verhandeln zu können, hatte mich letztlich doch nach Brüssel geführt. Offenbar vergeblich.
Kurz legte ich die Hand auf die linke Brusttasche meiner Jacke, in die ich im Hotelzimmer Safas Brief gesteckt hatte. Wie lebensnah die damals gerade mal Dreijährige die kleine Waris im Film verkörpert hatte! Dabei war ihr der grausame Akt der Beschneidung bisher erspart geblieben. So stand es zumindest in ihrem rührenden Schreiben. War die Unversehrtheit meiner kleinen Wüstenblume etwa in Gefahr? Überlegten die Eltern tatsächlich, die Kleine beschneiden zu lassen? Trotz unserer Abmachung?
Ich versuchte meine Gedanken wieder zu ordnen und holte mehrmals tief Luft, ehe ich mit ruhiger Stimme in das Mikrofon sprach.
»Sehr geehrte Frau
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