Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
passe eine Lücke zwischen den Einsteigenden ab und steuere auf die erste Reihe zu.
Der Gast auf 1A telefoniert. Auf dem Schoß hat er Stift und Block und kritzelt aggressiv darauf herum. Soll ich ihn dabei stören? Besser nicht. Ich lasse ihm lieber ein paar Minuten und komme dann zurück. Ich starte also in Reihe zwei, als er sich auch schon umdreht und sein Gespräch verärgert unterbricht. »Hey!«
Ich eile mit dem Körbchen unverzüglich zurück und lächle ihn an: »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht stören …«
Wortlos nimmt er ein Tuch und guckt in sein Handy sprechend aus dem Fenster. »Ja, NEIN, er muss die Unterlagen vorher per Kurier ins Mailänder Büro schicken!«
Da die Leute mehrheitlich gar keine Reaktion zeigen, sondern in ihre Akten und auf BlackBerrys starren und beiläufig in den Korb greifen, weiß ich nicht, ob sie mich überhaupt alle verstehen und füge meinem: »Darf ich Ihnen ein feuchtes Tuch anbieten?« immer noch ein: »Would you like a refreshment towel?« hinzu.
Ich komme mir ziemlich blöd dabei vor. Ich meine, da biete ich in gleich zwei Sprachen fließend ein hübsch verpacktes deodorisiertes Zellstofftuch an und kaum einer würdigt es. Dabei kann man mit den Dingern so viel machen: Augen-Make-up entfernen, Schuhe putzen, Quark-Mandarinen-Reste von Taschenfederkernmatratzen lösen … Wir haben es mit den Indern zusammen auf alles Mögliche getestet!
Der Mann in der letzten Reihe lächelt mich freundlich an. »Grazie mille, Senorina …«
Während ich ihm das Körbchen mit ausgestreckten Armen hinhalte, landet ein Jackett auf meiner rechten Körperhälfte. Der Herr am Gang hat es einfach über mich geworfen. Vermutlich soll ich es aufhängen.
Ich eile mit Sakko und Körbchen zurück zur Garderobe, als der Telefonierende aus Reihe eins mit erhobenem Zeigefinger erneut etwas andeutet. Ich stelle das Körbchen ab und eile zu ihm. Er sieht mich nur an, als ob ich längst wissen müsste, was er möchte.
»Spiegel« , sagt er knapp, und ich bin mir nicht mal ganz sicher, ob das jetzt mir gilt oder er darin die Unterlagen des Mailänder Büros abgedruckt sehen will – denn er spricht kontinuierlich weiter in sein Handy und beobachtet, wie die Maschine an der Nachbarposition mit Kleinwagen beladen wird.
Glücklicherweise steht Antoine plötzlich neben mir, mit allen Zeitschriften auf dem Arm und übergibt mir den schweren Stapel. Unter dem Gewicht, das ich stark unterschätzt habe, sinke ich prompt ein.
Wieder lächle ich Reihe um Reihe an und frage, was es sein darf. »Kann ich Ihnen eine Zeitschrift anbieten? Would you like a magazine? «
»Was haben Sie denn?«, fragt ein älterer Herr mit Wohlstandsbauch und massiver Armbanduhr.
Ich zähle ihm das gesamte Repertoire auf: »Stern, Spiegel, Focus, Wirtschaftswoche, Bunte, Gala, Capital, The Economist, TIME, Newsweek …«
Er scheint unzufrieden mit der Auswahl, lässt sich dann aber doch herab zu ordern: »Geben Sie mir mal den Stern – und Bunte und Gala für meine Frau.«
Brav übergebe ich ihm die gewünschten Magazine, auch wenn weit und breit keine Frau an seiner Seite zu sehen ist. Er trägt nicht mal einen Ehering.
»Scharlott …« Wieder ist Antoine da, diesmal allerdings schaut er ganz schön ungehalten. »Beim Rollen machen wir nur noch sicherheitsrelevante Sachen! Keine Zeitschriften, keine Decken, keine Kissen! Du bist nicht versichert, wenn der Flieger bremst und du pürzelst mit eine Dreifachsalto durch die cabine !«, informiert er mich. »Das darfst du nicht! Egal , was die Gäste von dir wollen!«
Leicht geknickt folge ich ihm nach vorne in die Bordküche, die Galley. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt, dass wir schon rollen. Eilig verstaue ich das übrig gebliebene Lesematerial.
Antoines Stimme erklingt nun über Lautsprecher im ganzen Flieger: »… möchten wir Sie jetzt noch mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut machen.«
Oh Gott, mein Einsatz! Wo sind meine Vorführsachen? Wo muss ich mich hinstellen? Antoine deutet auf die Ablage. Glück gehabt, er hat mir schon alles rausgelegt: Gurt, Karte und Sauerstoffmaske.
Brav demonstriere ich den silbernen Verschluss des Sitzgurtes – schließlich sind immer wieder Menschen an Bord, die noch nie geflogen sind. Und, das fand ich selbst ziemlich erstaunlich, im Notfall schaltet das menschliche Gehirn auf Sparmodus. Wenn man sich dann nicht durch einen kurzen Blick vorm Start im Kurzzeitgedächtnis frisch eingeprägt hat, wie der Gurt zu öffnen
Weitere Kostenlose Bücher