Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
behandelt ein ernstes Thema wie ein Partyspiel auf einer Teenager-Übernachtungsparty.
Mein Handy vibriert. Es ist Julianne.
»Hi.«
»Hi.«
»Wie war dein Vortrag?«
»Sie sind nicht eingeschlafen.«
»Das ist immer ein gutes Zeichen. Ich hab den ganzen Tag nichts von Charlie gehört. Geht es ihr gut?«
»Sie ist hier. Ich geb sie dir.«
Charlie nimmt das Telefon und geht auf die andere Seite des Zimmers. Ich höre nur ihren Teil des Gesprächs.
»Gestern … ganz okay … ich war shoppen … Nein, ich hab nichts gekauft … Die Farben haben mir nicht gefallen … Ich hab ein paar Schuhe gesehen, aber die gab es nicht in meiner Größe … Ziemlich öde … Er schnarcht … Ich weiß … Ja … mach ich … Okay.«
Meine Tochter erwähnt die Mordermittlung nicht, weil sie weiß, dass Julianne es nicht mag, wenn ich für die Polizei arbeite. Es ist ein alter Streit. Mit verlorenen Schlachten. Der Krieg dauert an.
Charlie gibt mir das Telefon, geht ins Bad und schließt die Tür.
»Hast du mit ihr über Jacob gesprochen?«
»Noch nicht.«
»Zögere es nicht zu lange hinaus.«
»Ich warte nur auf den richtigen Zeitpunkt.«
Sie macht ein nachdenkliches Geräusch, vielleicht liegt auch ein wenig Skepsis darin.
So sind unsere Telefongespräche oft, sie drehen sich um familiäre Themen: die Mädchen, die Schule, Ausflüge und gemeinsame Freunde. Julianne ist die Muntere, Fröhliche – glücklicher ohne mich.
Sie arbeitet als Übersetzerin für das Innenministerium. Ich weiß nicht, ob sie sich mit jemandem trifft. Eine Zeitlang war sie mit einem Anwalt namens Marcus Bryant zusammen. Ich musste ihn googeln, weil Julianne so reserviert war und Charlie sich weigerte, als meine Spionin zu fungieren. Ich habe seinen Namen eingegeben, angefangen zu lesen und wieder aufgehört. Sein vierjähriger Einsatz für das internationale Kriegsverbrechertribunal baute mich nicht gerade auf. Auch nicht seine ehrenamtliche Arbeit für Amnesty International. Bestimmt hat er auch noch eine Niere gespendet, um seine kleine Schwester zu retten, und in seiner Freizeit hilft er, kleine Kätzchen aus brennenden Gebäuden zu bergen.
Charlie ist immer noch im Bad. Ich höre, dass sie auf ihrem Handy flüsternd mit jemandem telefoniert.
Julianne ist nach wie vor in der Leitung. »… Emma wollte dich anrufen, aber jetzt schläft sie schon. Sie ist eine Schneeflocke in der Ballettaufführung. Sie will, dass du kommst. Ich hab ihr gesagt, dass du es wahrscheinlich nicht schaffst.«
»Wann ist die Aufführung?«
»Wenn die Schule wieder anfängt.«
»Ich versuch es.«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.«
»Es ist kein Versprechen.«
Nachdem sie aufgelegt hat, gehe ich mit Charlie essen. Wir laufen die Magdalen Street hinunter, vorbei an dem Märtyrerdenkmal, wo 1555 drei Bischöfe wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden: Protestanten, die eine katholische Königin beleidigt hatten. Charlie kennt die ganze Geschichte.
»Man hat ihnen Schießpulver um den Hals gehängt, das ihnen bei der Explosion den Kopf abgerissen hat … aber ein Bischof hatte feuchtes Holz, das nur geglimmt hat, und er hat darum gebetet, dass das Feuer heißer wird …«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich habe eine Stadtführung zu Fuß mitgemacht.«
»Wirklich?«
»Warum guckst du mich so an?«
»Ich bin beeindruckt.«
»Ich war nicht nur Shoppen, Dad.«
Wir finden einen Italiener in der Broad Street gegenüber dem gotischen Hauptgebäude des Balliol College. Charlie erzählt von ihrem Tag. Sie will nicht auf die Oxford University gehen, sagt sie, weil man sich hier vorkommt wie in einem Museum.
»Vielleicht möchtest du dir für ein Jahr eine Auszeit nehmen«, sage ich.
»Um was zu tun?«
»Reisen. Den Horizont erweitern.«
»Die Leute sollten es einfach Urlaub nennen«, sagt Charlie. »Denn das ist es doch.«
Seit wann ist sie so zynisch?
Die Kellnerin beugt sich vor, um die Kerze auf unserem Tisch anzuzünden. Dabei kann ich kurz den Rand ihres Spitzen- BH s sehen. Charlies Handy vibriert auf dem Tisch. Sie ignoriert es. Auf dem Display leuchtet kein Name auf.
»Willst du nicht rangehen?«
»Nein.«
»Vielleicht ist es Jacob.«
Sie kneift die Augen zusammen.
»Ich weiß, dass du noch mit ihm redest, Charlie.«
»Dies ist ein freies Land, Dad.«
Sie will, dass das Thema damit beendet ist. Ich warte einen Moment und versuche es noch einmal.
»Deine Mum möchte, dass ich mit dir darüber
Weitere Kostenlose Bücher