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Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Titel: Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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beobachtete oder belauschte.
    Tash zog mich unter die Leiter. »Ich mache es hiermit«, sagte sie und griff sich ins Kreuz, wo sie etwas in den Bund ihrer Jeans gesteckt hatte, das sie vorsichtig auspackte. »Den hab ich oben eingesteckt, als er nicht geguckt hat.«
    Es war ein alter Schraubenzieher mit einem abgebrochenen Griff. Tash hatte das kaputte Ende mit einem Lappen umwickelt, damit die scharfe Kante ihr nicht in die Hand schnitt. Sie stieß den Schraubenzieher mehrmals in die Luft.
    »Wie willst du es machen?«, fragte ich.
    »Ich schleich mich von hinten an und stech ihm in den Hals.«
    »Und wenn er nicht mit dem Rücken zu dir dasteht?«
    »Dann ziehe ich ihn an mich und stoß es ihm in den Bauch … oder ins Auge.«
    »Wann?«
    »Nächstes Mal.«
    Stundenlang saß sie unter der Leiter und übte, stieß die Metallspitze in das Holz und schnitzte ihre Initialen. Dann wieder lag sie lauschend auf ihrer Pritsche. Wenn es so weit ist, sagte sie. Wenn es so weit ist, bleibt keine Zeit mehr.
    Wir lagen wartend auf unseren Pritschen und hingen unseren eigenen Gedanken nach.
    »Wenn mir was passiert.«
    »Dir passiert nichts.«
    »Aber wenn.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Lass dich nicht von ihm anrühren, Piper.«
    »Mach ich nicht.«
    »Hast du verstanden?«
    »Ja.«
    Dann hörten wir, wie Möbel verschoben wurden, und wussten, dass George zurück war. Die Falltür wurde geöffnet, und es folgte die übliche Lieferung von Wasser und Lebensmitteln. Er ließ einen Eimer hinab, und wir leerten den Nachttopf.
    Dann war die Zeit für Tash gekommen.
    Ich konnte Georges Gesicht in der Dunkelheit über mir nicht erkennen. Er war bloß eine Stimme, wie Morgan Freeman, der in all diesen Filmen Gott spielt.
    »Diesmal will ich Piper.«
    Tash sah mich an. Ich trat von einem Fuß auf den anderen, am ganzen Körper kalt.
    »Nimm mich«, sagte sie.
    »Diesmal ist Piper dran.«
    »Nein.« Tash überlegte blitzschnell. »Sie hat ihre Tage.«
    Eine Zeitlang sagte George gar nichts. Tash kletterte die Sprossen der groben Holzleiter hoch und streckte die Arme aus. Ihre Strickjacke rutschte über den Bund ihrer Jeans, und ich sah den Schraubenzieher in ihrem Kreuz.
    Ich wollte ihr sagen, dass sie es nicht tun sollte. Riskier es nicht.
    Ich setzte mich auf die Pritsche und drückte mich an die Wand. Jeder Schatten barg einen verdorrten Körper.
    Ich betete. Ich kann nicht gut beten. Wir sind keine fromme Familie. Mein Dad sagte neun von zehn Religionen scheitern schon im ersten Jahr.
    Während ich betete, lauschte ich, um zu hören, was oben vor sich ging. Ich malte mir die schrecklichsten Dinge aus. Löcher, die gegraben, Leichen, die verscharrt wurden. Entsetzliche Schreie. Damit drohte er uns immer: uns so tief zu vergraben, dass uns niemand finden würde.
    Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet habe. Dösend. Wach. Lauschend. Ich schrie die Decke an.
    »Schick sie wieder hier runter, du Schwein! Tu ihr nicht weh!«
    Ich stand auf der Bank und spähte durch den Fensterspalt. Irgendwo schien ein Mond, und ich konnte Bäume erkennen und hören, wie der Wind in ihren Blättern raschelte.
    Heftig zitternd und im Dunkeln wachte ich wieder auf. Ich richtete mich auf. Ich war noch immer allein. Ich streckte die Hand zu ihrer Pritsche aus, fühlte ihre kalte Decke. Als ich das nächste Mal aufwachte, war es beinahe hell genug, um etwas zu sehen. Ich schlug die Decken zurück, kletterte die Leiter hoch und versuchte das Gleichgewicht zu halten, während ich die Hände zur Falltür ausstreckte. Aber ich konnte sie nicht erreichen.
    Ich stand auf der Bank, spähte durch den Spalt und konnte einen Maschendrahtzaun und die Ecke eines anderen Hauses mit einem zerbrochenen Fenster sehen. Müll. Unkraut. Stille. Nichts bewegte sich.
    Ich wartete den ganzen nächsten Tag. Zeit bedeutete nichts. Ich hatte Hunger und fror, doch ohne Tash wollte ich nichts essen. Ich blickte zu dem schwarzen Auge an der Decke auf. Ich flehte, er solle sie mir zurückgeben. Ich wollte nicht allein sein. Ich brauchte Tash.
    Dann hörte ich, wie die Luke geöffnet wurde, ein klaffendes schwarzes Loch. Er ließ sie auf der Leiter herunter. Ihre Beine wirkten zu schwach, um sie zu tragen. Ich stand unten, um sie aufzufangen, falls sie fiel.
    Sie stieg langsam herunter, das Gesicht verzerrt, blass. Auf der Vorderseite ihres Kleides war Blut, getrocknet und dunkel. Sie stolperte. Ich musste sie stützen. Sie rollte sich auf ihrer Pritsche zusammen und igelte sich ein.

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