Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
senkt sich eine lähmende Gewissheit über sie. Es gibt kein Später. Dies ist das Ende.
Nach jenem ersten Mal
kletterte Tash jedes Mal die Leiter hoch, wenn George rief. Er kam alle drei bis vier Tage, um Lebensmittel und Wasser zu bringen. Ein oder zwei Mal hat er eine Woche verstreichen lassen, das Längste waren zehn Tage.
Uns gingen Lebensmittel und Wasser aus, aber das Schlimmste war der Gestank des Nachttopfes. Der Keller roch wie ein Plumpsklo in einem Slum in Mumbai. Ich war zwar noch nie in Mumbai, aber ich habe den Film Slumdog Millionaire gesehen, wo der kleine Junge in ein Plumpsklosett springt und von Dünnschiss bedeckt wird. Das war echt eklig, obwohl es sonst ein echt guter Film war.
Jedes Mal wenn George kam, hörten wir, wie Sachen über den Boden geschleift wurden. Die Falltür ging auf, und er befahl, dass Tash die Leiter hochklettern sollte. Wenn sie zurückkam, roch sie immer nach Parfüm und Puder. Sie brachte Geschenke für mich mit. Zahnpasta. Eine Bürste. Eine Pinzette. Sie trug saubere Kleidung. Hatte keinen Hunger.
»Was hast du gegessen?«
»Ist doch egal.«
»War es lecker?«
»Nein.«
Ich wurde immer eifersüchtiger. Ich wollte nach oben gehen. Ich wollte verwöhnt werden … leckeres Essen essen und meine Haare richtig waschen.
Manchmal sprachen wir stundenlang nicht miteinander, so wütend war ich. Ich nannte sie eine dreckige Hure. Sie nannte mich eine verklemmte Jungfer, was mich noch mehr verletzte.
Sie teilte ihre neuen Kleider mit mir, aber das reichte nicht. Sie wollte mir nicht erzählen, was dort oben passierte.
»Er hat dir was Leckeres zu essen gegeben, oder? Du durftest dich waschen. Du riechst wie ein Body Shop.«
»Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Warum? Was hat er gemacht?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Sag es mir.«
Die Geschenke, die sie mitbrachte, waren mir scheißegal. Sie hatte ein Geheimnis vor mir, sie hielt etwas zurück.
Nach einem Tag Anschweigen fingen wir wieder an, miteinander zu reden. Tash erzählte mir von dem Raum oben. Sie sagte, es sei eine alte Fabrik voller Müll und kaputter Möbel. Sie sagte, draußen wäre ein Hof mit einem Schuppen auf einem Backsteinfundament und Tonnen vor einem hohen Zaun. Ein anderes Haus hatte sie nicht bemerkt. Verkehr auch nicht.
»George hat gesagt, vielleicht gibt er uns ein Radio und neue Zeitschriften«, sagt sie. »Und mehr Lebensmittel, saubere Laken und vielleicht sogar eine Mikrowelle.«
Von allem, was George versprach, kam nur ein Bruchteil tatsächlich an. Die Kleider waren anders als gewünscht Kleinmädchensachen – winzige T-Shirts und Shorts. Und statt Tampons kriegten wir Binden.
Nach und nach sammelten wir immer mehr Sachen. Eine Uhr. Seife. Neue Zahnbürsten. Bücher. Aber was immer er uns gab, konnte er uns auch wieder nehmen. Tash fragte ihn nicht gern nach etwas, weil sie nicht wusste, wie er reagieren würde. In einem Moment konnte er höflich und fürsorglich sein, im nächsten schlug er mit der Faust auf den Tisch und fuhr sie an, sie solle »ihr blödes Maul halten!«
»Weißt du nicht, was für ein Glück du hast?«, schrie er. »Ich hätte dich umbringen und verscharren können.«
Dann wieder umschmeichelte er sie, bürstete ihr Haar, nestelte an ihren Kleidern. Sie hielt ihn bei Laune. Sie ging hoch, wenn er rief, und tat, was er verlangte, aber ich hätte von selbst darauf kommen müssen, was los war. Ich hätte die Veränderungen an Tash bemerken müssen.
Was immer sie oben zu essen bekam, reichte für unten mit – wo sie gar nichts mehr zu sich nahm. Sie begann, sich die Nägel blutig zu kauen. Wurde immer dünner. Sie hörte auf, sich die Zähne zu putzen und die Haare zu bürsten.
Sie zerschnitt die Zeitschriften und schuf Collagen seltsamer Ungeheuer, hybride Wesen mit Tierköpfen und menschlichen Körpern. Und sie stach ihnen die Augen aus.
Jedes Mal wenn sie die Leiter wieder herunterkletterte, schien ein bisschen weniger von ihr übrig, als ob George sich ein Stück nehmen oder sie es oben lassen würde.
Eines Nachts machte sie ins Bett. Ich fand sie zitternd und ganz durchnässt, zog ihr die dreckigen Sachen aus, machte Wasser heiß und wusch sie. Sie sagte kein Wort. Weinte nicht. Wimmerte nicht einmal.
»Ich glaube, es wird ein schöner Tag«, erklärte ich ihr. »Ich kann die Vögel hören.«
Etwa um diese Zeit schmiedete Tash ihren Fluchtplan. »Wir müssen hier rauskommen«, flüsterte sie, weil wir nicht wussten, ob George uns vielleicht
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