Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
versperrt ein Tor mit einem Vorhängeschloss die Straße. Daran hängt das Schild eines Transportunternehmens für Beton und Kies. Hinter dem Tor kann man Hügel mit Bruchstein und Schindeln ausmachen.
Wir nehmen einen Nebenpfad mit zunehmend tieferen Schlaglöchern, vorbei an Schneehaufen, die in den schattigen Senken überlebt haben. Dann dünnt der Wald unvermittelt aus, und ich sehe eine graue Wasserfläche, die an den Rändern weißer ist. Kein Wasser, sondern Eis. Hier und da klaffen Risse und Löcher in dem zugefrorenen See, pechschwarze Flecken, auf denen sich ein paar mutige Wasservögel tummeln.
»Das waren früher Kiesgruben«, erklärt Grievous. »Im Laufe der Zeit sind sie vollgelaufen, und so sind die Seen entstanden. Ursprünglich waren es noch mehr, aber in den Achtzigern hat das hiesige Energieversorgungsunternehmen angefangen, sie mit Ascheabfällen aus dem Kraftwerk Didcot zuzuschütten. Die Einheimischen haben protestiert und eine Kampagne auf die Beine gestellt, um die übrigen Seen zu retten.«
»Wie weit ist das Kraftwerk entfernt?«
»Es liegt gut sechs Kilometer südlich von hier.«
Ich erinnere mich, aus dem Zug sechs riesige Betonschornsteine gesehen zu haben.
»Und das Haus der Heymans?«
»Luftlinie etwa eineinhalb Kilometer.«
Er hält an. »Haben Sie noch andere Schuhe?«
»Nein.«
Er zuckt die Achseln und zieht sich eine Öljacke über. Ich habe die Wollmütze, die Charlie mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hat.
Die frostige Luft brennt auf meinen Wangen. Der Detective Constable in der Ausbildung geht voran. Ich folge. Der Pfad besteht aus Kies, Gras und Schlamm und führt nur ein paar Meter vom Wasser entfernt am Ufer entlang.
»Hier hat man sie gefunden«, sagt er.
Das weiße Zelt ist verschwunden, doch der Fundort ist immer noch mit gelbem Polizeiband markiert. Jemand hat einen Blumenstrauß an einen Zaun in der Nähe gebunden, die Blüten sind erfroren.
Der See glitzert wie ein Scherbenfeld. Am östlichen Ufer verlaufen Eisenbahngleise.
Ich ducke mich unter dem Polizeiband und stehe an der Stelle, wo Natashas Leiche mit Maschinen und Hacken aus dem Eis geschnitten wurde. Ein unförmiges Loch bezeichnet die Stelle. Es ist mit dunklem Wasser vollgelaufen, auf dem welke Blätter schwimmen.
Ich gehe in die Hocke, nehme einen platt gedrückten Grashalm und halte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich schließe die Augen und lausche der Stille des Winters, die beinahe vollkommen ist. Ein Bild bildet sich in meinem Kopf, eine Wiederholung des Traums aus der vergangenen Nacht – ein Mädchen, das so schnell rennt, wie es kann, durch Äste und Unterholz bricht, während der Schneesturm die Spuren seiner nackten Füße löscht.
Sie hat die Gleise überquert und ist den Abhang hinuntergestolpert, hat gespürt, wie das Eis unter ihr knackte und nachgab. Sie muss um Halt gekämpft haben, doch die Kälte raubte ihr die Kräfte, sodass sie sich nicht wieder aus dem Wasser ziehen konnte. Jemand hat sie bis hierher verfolgt. Und zugesehen, wie sie starb.
Zwei Tage lag sie unter dem Eis, bis die Sonne herauskam und einen Heiligenschein aus zersplittertem Licht um ihre Leiche schuf. Ein Paar, das mit dem Hund spazieren ging, schlug Alarm.
»Wo geht es zu dem Bauernhaus?«, frage ich.
Grievous hebt den Arm und weist in Richtung der Gleise.
»Kann man es zu Fuß schaffen?«
»Ich kann Sie auch fahren.«
»Beschreiben Sie mir den Weg, und wir treffen uns dort.«
Aus dieser Perspektive sieht das Bauernhaus anders aus, gerahmt von einem harten blauen Himmel und gepflügten Feldern mit Schneestreifen, die aussehen wie durchwachsenes Fleisch. Die Busse und Minivans sind eingetroffen. Die Suchleute stampfen von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten, Polizeihunde zerren an der Leine und schnuppern die Luft. Einige der Männer und Tiere haben diese Felder bereits einmal abgesucht, aber Drury will, dass es noch einmal geschieht – jeder Zentimeter zwischen dem Haus und den Radley Lakes.
Grievous wartet vor dem Haus auf mich. Er schiebt die provisorische Tür beiseite, und ich gehe durch die Zimmer und mache mich noch einmal mit Grundriss und Einrichtung vertraut.
Vor der Waschküche bleibe ich stehen, weil mir das geblümte Kleid wieder einfällt, das im Becken eingeweicht wurde. Ein Sommerkleid, nichts Wintertaugliches. In einem Plastikbeutel verpackt und etikettiert auf dem Weg ins Labor.
»Wonach gucken Sie?«, fragt Grievous.
»Ich versuche, nach gar
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