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Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)

Titel: Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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finden würde. Ich trete ein und warte einen Moment, bis meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt haben, bevor ich meinen Blick durch die Reihen der Kirchenbänke schweifen lasse, um eine Bewegung oder den Umriss eines Kopfes auszumachen.
    Irgendwo über mir dröhnt die Orgel, dass die Luft vibriert und der Staub von den Balken rieselt. Ich folge dem Klang und steige die Stufen zu einer Empore hinauf. John Leece sitzt mit dem Rücken zu mir an der zweimanualigen Tastatur der Orgel, gegenüber einer Wand von Pfeifen. Mit Händen und Füßen produziert er tief widerhallende Akkorde, die jeden Winkel der Kirche füllen.
    Als die letzten Töne verklingen, faltet er das Notenblatt zusammen. Ich räuspere mich, und er dreht sich blinzelnd um. Seine Augen schwimmen hinter dicken Brillengläsern.
    »Tut mir leid, ich habe Sie nicht gehört.«
    »Ich habe der schönen Musik gelauscht.«
    »Ich spiele hier jeden Sonntag«, sagt er und packt seine Sachen ein.
    »Das klang aber nicht wie Kirchenmusik.«
    Er sieht mich schuldbewusst an.
    »Ich bin sicher, Gott hat nichts dagegen, wenn ich hin und wieder mal ein bisschen abrocke. Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ihre Frau.«
    Dr. Leece betrachtet seine Hände und schließt kurz die Augen.
    »Sie sind gekommen, um mich nach der Obduktion zu fragen?«
    »Ja.«
    »Sind Sie Christ, Professor?«
    »Ich bin eigentlich gar nichts.«
    »Ich war Messdiener und habe sogar überlegt, Priester zu werden, doch stattdessen bin ich Arzt geworden.«
    Der Pathologe starrt immer noch auf seine Hände und wendet sie hin und her, als würde er sie zum ersten Mal sehen.
    »Ich habe mehr als vierhundert Obduktionen durchgeführt, aber noch keine wie die gestern. Jede Leiche stellt eine neue Herausforderung dar. Es ist, als würde man eine Landkarte geschundener Körper lesen, Narben und Krankheiten. Trotzdem geht man davon aus, dass es so etwas wie Gewissheiten gibt. Dinge, die unantastbar sind.«
    Ich ziehe mir einen Stuhl aus der Ecke heran. Fast ohne Betonung beschreibt er die Einzelheiten der Obduktion, die diversen Tests und Messungen, Untersuchungen auf Drogen im Blut und Mageninhalt.
    »Sie war chronisch untergewichtig, körperlich verkümmert, hatte Anämie, Vitamin D- und Eisenmangel, Hautläsionen und Entzündungen.«
    »Was würden Sie daraus schließen?«
    »Sie war lange ohne natürliches Licht eingesperrt.«
    »Wie lange?«
    »Eher Monate als Wochen.«
    »Jahre?«
    »Durchaus möglich. Sie hatte identische Abschürfungen an beiden Hüften, was darauf hindeutet, dass sie sich durch eine schmale Öffnung gezwängt haben könnte.«
    »Das Badezimmerfenster in dem Bauernhaus?«
    »Nein, es muss irgendwo anders gewesen sein.« Dr. Leece breitet die Hände aus. »An dem Badezimmerfenster hat sie sich den Unterarm geschnitten. Die Abschürfungen sind früher entstanden.«
    »Wie viel früher?«
    »Ein paar Stunden.«
    Er krempelt seine Hemdsärmel herunter und knöpft die Manschetten zu.
    »Schon mal was vom Locard’schen Prinzip gehört?«
    »Nein.«
    »Es ist eine Theorie, die Edmond Locard im 19. Jahrhundert entwickelt hat. Sie besagt, dass bei jedem Kontakt mit einem anderen Objekt oder einer anderen Person wechselseitig minimale Spuren hinterlassen werden. In Natasha McBains Haar und unter ihren Fingernägeln habe ich Fasern gefunden – Synthetik, von einer dunklen Farbe und ganz anders als ihre Kleidung.«
    »Haben Sie an Augie Shaws Kleidung ähnliche Spuren gefunden?«
    Dr. Leece schüttelt den Kopf. »Ihr Kleid war stark ver schmutzt. Eine erste Analyse hat ergeben, dass es sich um eine Mischung unterschiedlicher Stoffe handelt: Pflanzen, tierische Materie, mikroskopisch kleine Glaspartikel, Farbe, Zement und Maschinenöl …«
    »Ein Fabrikgelände?«
    »Außerdem Spuren von Kreosot und chlorinierten Kohlenwasserstoffen. Kreosot wird zur Behandlung von Gleisschwellen benutzt, und aus chloriniertem Kohlenwasserstoff kann man alles Mögliche machen: Pestizide, Plastik, Kunstfaser, was auch immer. Ich habe die Proben an ein Labor in der Schweiz geschickt, das auf die Analyse von Giftstoffen spezialisiert ist. Dadurch bekommen wir vielleicht einen Hinweis, um welche Art von Industrieproduktion es sich handelt.«
    »Was ist mit dem Mageninhalt?«
    »In den letzten zwölf Stunden hatte sie nichts mehr gegessen. Ich habe Spuren von vegetarischer Materie und Fleisch gefunden, doch vor morgen habe ich keine definitive Antwort.«
    Er zögert, blickt an mir vorbei auf das Glasfenster, eine

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