Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
schlammige Armeen, im Gedränge um einen Ball ineinander verkeilt.
»Erzählen Sie mir von den Bingham Girls.«
Grievous nickt und ordnet seine Gedanken.
»Sie sind am letzten Sonntag im August verschwunden. Am Tag vorher war das Bingham Summer Festival, die Karussells und Buden wurden noch abgebaut.«
»Gab es Verdächtige?«
»Einige der Kirmeshandlanger wurden befragt. So ein Job lockt Herumtreiber und Perverse an. Die Ermittlungskommission hat auch eine Truppe von Travellern unter die Lupe genommen, die auf dem Feld eines Bauern am Stadtrand campiert haben. Ihr Lager wurde drei Tage nach Verschwinden der Mädchen durchsucht, doch man hat nichts gefunden. Eine Woche später brannten zwei Wohnwagen aus, und ein kleines Mädchen starb in den Flammen.«
»Warum haben die Leute gedacht, die Mädchen wären weggelaufen?«
»Laut einer ihrer Freundinnen hatten sie es geplant. Emily Martinez wollte eigentlich mit.«
»Was ist passiert?«
»Die Mädchen waren wie vom Erdboden verschluckt. Die Polizei hat die Busse und Züge überprüft, die am Sonntagmorgen abgefahren sind, aber niemand hat Piper oder Natasha gesehen.«
»Was glauben Sie, was passiert ist?«
»Sie sind in das falsche Auto eingestiegen. Natasha ist bekanntermaßen häufig getrampt. Sie war nicht gerade der schüchterne oder zurückhaltende Typ.«
»Das heißt?«
Er zögert, zupft an seinem Hemdkragen. »Es gab Gerüchte, wissen Sie. Alkohol. Drogen. Rainbow-Partys. Sie wissen, was das ist?«
»Leider ja.«
»Einige Leute behaupten, Natasha hätte Geld für Blowjobs genommen.«
»Was ist mit Piper?«
»Sie war stiller, eine gute Sportlerin.«
»Kennen Sie die Familien?«
»Eigentlich nicht, nur Gerüchte.« Er blinkt und biegt links ab. »Hayden McBain ist ein Kleindealer, der Dope und Amphetamine verkauft und in einer Woche mehr verdient als ich in einem Monat. Jedes Mal wenn wir ihn verhaften, erzählt er dem Richter eine Rührstory über seine vermisste Schwester. Bla, bla, bla. Und verlässt das Gericht als freier Mann.«
»Sie glauben ihm nicht.«
»Er hat auch schon gedealt, bevor sie verschwunden ist.«
Ein plötzliches Rauschen aus dem Funkgerät unterbricht seinen Gedankengang. Er dreht es leiser. Für einen großen Mann hat er ein jungenhaftes Gesicht und sanfte Augen.
»Was ist mit Pipers Familie?«
»Sie haben nie aufgehört, nach ihr zu suchen – sie haben Interviews gegeben, waren im Radio und haben an Politiker geschrieben. Jedes Jahr halten sie eine Mahnwache mit Kerzen ab. Es ist, als würden die Hadleys die Hoffnung nie aufgeben. Sie haben Websites erstellt, schreiben Newsletter und hängen überall Plakate auf. Sie werden sehen. Gleich da vorn ist eins.«
Kurz darauf passieren wir ein WELCOME TO BINGHAM -Schild und erreichen ein hübsches kleines Städtchen, das sich an die Ufer der Themse schmiegt. Bunte Häuser leuchten hell im Licht der tief stehenden Sonne, aus den Schornsteinen steigt kräuselnd Rauch auf. Das Stadtbild ist geprägt von einer Mischung aus alter und moderner Architektur. Es gibt drei Pubs, eine Apotheke, ein Kleidergeschäft, einen Metzger, eine Bäckerei und zwei Friseursalons.
Grievous hält an einem Fußgängerüberweg. Um die Masten auf beiden Seiten der Straße sind gelbe Bänder gebunden und noch etwas: ein fotokopiertes Plakat in Plastikfolie. VERMISST steht in Großbuchstaben über einem Foto. Darunter etwas kleiner: Wer hat Piper gesehen ?
»Die Straßenreinigung nimmt sie jedes Mal ab, aber sie sind ebenso schnell wieder da«, sagt Grievous. »Warten Sie hier, Sir.«
Er hält am Straßenrand, steigt aus, nimmt eins der Plakate ab und gibt es mir. Regentropfen perlen von der Plastikfolie.
Piper Hadley
Alter: 18
Vermisst seit dem 31. August 2008
Trug zuletzt Jeans und
ein schwarz-rot gestreiftes T-Shirt
Hinweise an folgende Rufnummer:
Crimestoppers 0800 555 111
Belohnung: 400 000 £
Ich betrachte das Bild eines Mädchens mit braunen Augen, einem schrägen Grinsen und dunklen Haaren. Sie scheint sich der Kamera beinahe zu widersetzen und das Ergebnis schon anzuzweifeln, bevor der Verschluss den Augenblick festgehalten hat.
Grievous steuert uns durch das Städtchen und weiter über eine schmale asphaltierte Straße, die von Hecken und Pfützen mit schmelzendem Schnee gesäumt ist. Hier und da ragen Weißdorn- und Stechginsterbüsche aus dem Straßengraben, wo Zäune zusammengebrochen oder mit der Zeit verrottet sind.
Die Straße macht eine scharfe Biegung. Direkt vor uns
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