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Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye

Titel: Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Augen zum Grabstein. Ich weiß nicht, was ich zu dir sagen soll, wiederholte sie für sich und wußte: Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, daß ihre Mutter sie hörte, so würde ebendies geschehen, auch ohne ein gesprochenes Wort. Bitte, sag mir, was ich tun soll. Bitte, sag mir, wer ich bin. Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Was habe ich fortgeschleudert? Angestrengt starrte sie auf die eingemeißelten Buchstaben. War mein Leben mit Victor wirklich so schlimm? Bitte, hilf mir. Mutter. Ich brauche eine Antwort. Ich brauche dich, damit du mir sagst, was ich tun soll!
    Doch es kamen keine Stimmen, kein abgründiges Raunen, keine geheimnisvollen Zeichen, die von übernatürlichen Kräften
kündeten. Nichts. Nur Stille. Donnas Blick glitt über die geometrischen Reihen. Ungestört lagen sie. Keine Geister erhoben sich, keine schlanken, durchsichtigen Gestalten in weißen, flutenden Gewändern. Nichts. Plötzlich hörte sie Mels Stimme. »Wenn es in diesem Zimmer irgendwelche >Geister< gibt, Donna, dann stehen sie in deinen Schuhen!«
    Sie verdrängte die Gedanken an Mel, wie sie es stets zu tun pflegte. Diesmal jedoch kehrten sie hartnäckig zurück.
    »Bist du bereit heimzufahren?« Mel.
    »Ich bin schon den ganzen Abend dazu bereit.« Donna.
    »Das ist mir nicht entgangen. Fehlte eigentlich nur, daß du die Autoschlüssel klirrend in meine Richtung geschwenkt hättest.«
    Geh fort, Mel.
    »Du sagst mir, daß du mich nicht mehr hierhaben willst?«
    »Ich sage dir, daß ich Donna Cressy liebe. Aber daß ich mit der Frau, zu der sie sich hat werden lassen, nicht mehr leben kann.«
    Donna lehnte sich gegen den Grabstein ihrer Mutter. Unmittelbar hinter ihr erklang Mels Stimme.
    »Du warst sechs Jahre lang mit Victor verheiratet, Donna. Ich meine, das sollte uns beiden genügen.«
    Mit rasender Geschwindigkeit schien in Donnas Gehirn ein Film abzuspulen. Rückwärts zunächst. Dann vorwärts. Die sechs Jahre mit Victor. Wörter. Mehr Wörter. Endlose Folgen von Wörtern. Ermahnungen. Anweisungen. Befehle. Halbwahrheiten. Aber auch Fast- oder Ganzwahrheiten. Genügend zum Schlingenlegen, Fallenstellen. Genug, um sie von einer Erwachsenen in ein Kind zurückzuverwandeln – in ein unselbständiges Geschöpf, von dem so etwas wie Wundergläubigkeit erwartet wurde.
    Ein Gedicht von Margaret Atwood ging ihr plötzlich durch den Sinn, und die Worte schienen zu erstarren. Noch mehr Worte.

    du fügst dich in mich
wie ein Haken in ein Auge
ein Fischhaken
in ein offenes Auge
    Die richtigen Worte. Plötzlich mußte sie an Victors Mutter denken; vergeudete Hoffnung, verschwendetes Warten, über ein Dutzend Jahre. Und Victors erste Frau. Drei Jahre habe ich auf der Psychiater-Couch zugebracht wegen diesem Lumpenhund, hatte die Frau gesagt. Noch immer voll Zorn nach all den Jahren. Und sie – Donna – ihrerseits? Die Melodie von Paul Simons Song klang wie von fern an ihre Ohren. Was ließ sie sich von Victor antun?
    SHARON EDMUNDS
    Donna starrte auf den Namen ihrer Mutter. »Ja«, sagte sie laut, während die letzten Bilder ihres Lebens mit Victor an ihrem inneren Auge vorüberglitten und der Film plötzlich zu Ende war. »Es war so schlimm.«
    Sie erhob sich. Meinte, Mel neben sich zu spüren.
    »Soll das heißen, ich war schuld daran, daß du dich heute abend so benommen hast?« Donna. An jenem Abend, wo sie ihn geohrfeigt und dann verlassen hatte.
    »Das soll heißen, daß es meine Schuld war. Du kannst für meine Handlungsweise nicht verantwortlich sein.« Mel. Kannst du nicht verstehen, was ich dir die ganze Zeit über zu sagen versuche?
    Sie verstand. Warum nur waren die einfachsten Wahrheiten immer am schwersten zu verstehen?
    Victor war längst nicht mehr für ihr Leben verantwortlich. Und niemand sonst würde ihr irgendwelche Antworten geben.
    Konnte ihr irgendwelche Antworten geben. Die Antworten mußten aus ihr selbst kommen. Sie war als einzige für sich verantwortlich – für alles, was sie damit tat. Für den fremden Jungen
oder Jüngling in ihrem Motelzimmer, für die Schnitte an ihren Beinen; für alles, was sie – und niemand sonst – mit sich geschehen ließ.
    Ihr Blick glitt über den Friedhof. »Nichts als ein Haufen Tote hier«, sagte sie laut und hatte das Gefühl, daß ihre Mutter ihr prompt zustimmte.
    Nein, hier gibt es keine Antworten, dachte sie, während ihre Augen über die Gräber streiften. Hier sind bloß Tote. Aber es gilt einzig das Leben. Und es kommt darauf an, daß man lernt, das Leben

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