Sag mir, wo die Mädchen sind
sie natürlich versucht, als es mit uns beiden anfing.»
«Noors Familie behauptet einmütig, ihr wärt nicht miteinander gegangen, sondern du hättest Noor nachgestellt, sie hätte aber nichts von dir wissen wollen.»
Tuomas wirkte verblüfft, doch ich glaubte in seiner Miene noch etwas anderes zu sehen, das ich nicht auf Anhieb definieren konnte, vielleicht eine Mischung aus Zufriedenheit und Trauer.
«Das ist totaler Quatsch! Da könnt ihr fragen, wen ihr wollt, unsere Lehrer, unsere Freunde, meine Eltern … Mindestens hundert Menschen können euch bestätigen, dass wir zusammen waren. Vielleicht zähle ich für die Ezfahanis nicht als richtiger Freund, weil ich andersgläubig bin, aber was spielt das denn für eine Rolle? Einer von denen hat Noor umgebracht, weil sie mit mir zusammen war, dabei haben wir nichts Böses getan! Ich habe sie geliebt.»
Bisher war Tuomas geradezu erstaunlich gefasst gewesen, doch nun begann seine Stimme zu zittern. Er griff nach der Saftpackung, aber sie war leer. Puupponen machte sich auf, um Nachschub zu holen, und ließ mich allein mit dem Jungen zurück, der mit den Tränen kämpfte. Als Puupponen schließlich mit einer Limonadendose zurückkehrte, riss Tuomas den Verschluss so ungeschickt auf, dass der Inhalt auf den Tisch und auf seine Hose spritzte, woraufhin der getrocknete Schmutz aufweichte und auf den Boden tropfte. Puupponen verschwand erneut, holte Klopapier und wischte den Matsch auf.
«’tschuldigung», stammelte Tuomas. «Ich merke jetzt erst, wie müde ich bin. Hab nicht geschlafen.»
«Wo warst du letzte Nacht?»
«Spielt das eine Rolle?»
«Alles ist wichtig.»
«Ich war dort. In Kuitinmäki.»
«Da, wo Noor gefunden wurde?» Das polizeilich abgesperrte Waldstück war die ganze Nacht hindurch von einer Streife bewacht worden, weil die kriminaltechnischen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen waren. Die Streifenpolizisten hätten merken müssen, dass ein junger Mann dort herumschlich.
«Nein, das war doch in Olari bei unserer Schule! Ich war in Kuitinmäki, bei den Häusern, wo die Kanaken … Migranten wohnen. Also bei den städtischen Mietshäusern. Ich habe da auf der Schaukel gesessen und darauf gewartet, dass in Noors Zimmer das Licht angeht. Aber die Vorhänge waren zugezogen, und auch sonst war alles dunkel.»
«Du sprichst von Kanaken, obwohl du mit einem Migrantenmädchen befreundet warst. Hast du was gegen Einwanderer?» Puupponen beugte sich vor. Das Licht fiel auf seine Haare und ließ sie karottenrot aufleuchten.
«Diese ganzen Schimpfnamen, Kanaken, Alis und so weiter, das ist doch bloß Frotzelei. Die reden von uns genauso, Rahim nennt mich einen ungläubigen Hund. Ich hab nichts gegen Hunde, und gegen Einwanderer auch nicht. Die sollen ruhig herkommen, solange sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und uns nicht zwingen, ihren Glauben anzunehmen. Und die Ezfahanis sind nicht die schlimmsten Schmarotzer, ein paar gehen ja arbeiten. So habe ich jedenfalls gedacht, bevor sie Noor umgebracht haben. Wisst ihr schon, wer von denen es war?»
«Wir haben Noors Mörder noch nicht gefasst. Haben die Familienmitglieder ihr ausdrücklich mit dem Tod gedroht?»
Statt zu antworten, trank Tuomas einen Schluck Limonade und sah über Puupponens Kopf hinweg an die Wand, an der kein einziges Bild hing. Ich hatte im Lauf der Jahre viele vernommen, die ihr Kopfkino auf die leeren weißen Wände zu projizieren schienen. In einem der Vernehmungszimmer hatten früher beruhigende Seelandschaften gehangen, aber bei irgendeiner Renovierung waren sie entfernt worden. Das Polizeigebäude war ein unwirtlicher Ort, nicht dazu gemacht, sich wohlzufühlen. Schließlich seufzte Tuomas, und seine Augen wurden feucht.
«Noor wusste, dass sie solche Drohungen bei der Polizei melden konnte. Die Typen mochten es überhaupt nicht, dass sie mit mir ging. Sie meinten, sie dürften es ihr verbieten, weil sie minderjährig war. Vor allem Rahim und der Großvater haben sich darüber aufgeregt, dass Noor ihre Rechte kannte. Und sie hat gesagt, sie würde lieber sterben, als sich Vorschriften machen zu lassen, wo sie doch genau weiß, dass sie nichts Böses tut. Sie …» Tuomas konnte nicht weiterreden. Er schloss die Augen, als könnte er dadurch die Tränen zurückhalten. «Warum habt ihr aus denen kein Geständnis rausgeholt?», murmelte er, versuchte die Tränen mit der Zunge aufzufangen, wischte sie dann mit dem Hemdsärmel ab und beschmierte sich dabei das
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