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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Nachbarn der Ezfahanis schreiben. Ich benutze immer noch meinen alten Computer, bei Laptops streikt mein Rücken. Ein alter Hund und so weiter.»
    «Und was sagen die Nachbarn?»
    Liisa schlug ihren Notizblock auf. «Sie bestätigen, was wir schon wussten: Die Familie Ezfahani hat zusammengehalten. Der Großvater, sein zweiter Sohn und dessen beide Söhne wohnen zwei Häuser weiter, aber alle neun essen jeden Mittag und jeden Abend gemeinsam, die ältere Noor ist also die hauptamtliche Köchin für die ganze Sippe. Einige Nachbarn ärgern sich darüber, dass die Familienangehörigen ständig im Haus herumlaufen. Die Männer sind dem Vernehmen nach anständige Leute und kommen nicht betrunken nach Hause wie die Kurden im Nebenhaus, die laut Aussage eines somalischen Nachbarn ‹saufen wie die Christen›. In der Wohnung der Ezfahanis wird mitunter sehr laut gesprochen, und die Mutter sieht manchmal verweint aus. Noor verlässt das Haus mit Kopftuch, legt es aber im Bus ab, wenn keine Familienangehörigen dabei sind. Das war’s eigentlich. Ich muss mir noch ein bisschen Zucker holen, der Kaffee ist heute noch schlechter als sonst!» Liisa verzog das Gesicht und eilte zum Automaten.
    In meinem Dienstzimmer loggte ich mich ins Intranet ein, tippte Ruuskanens Passwort ein und rief die Vernehmungsprotokolle auf. Die Aussagen der sieben männlichen Ezfahanis wichen kaum von dem ab, was ich von Noor der Älteren erfahren hatte. Alle neun Familienmitglieder hatten sich um fünf Uhr in der Wohnung versammelt, um Huhn mit Auberginen und Reis zu essen. Der Großvater Reza, sein Sohn Farid und dessen Söhne Jalil und Rahim aßen meist bei Noors Familie, weil sie in der Nähe wohnten und weil es gut war, die Mahlzeiten im Familienkreis einzunehmen. Der Großvater bezog bereits Rente, der eine von Noors Brüdern wurde an der Berufsschule zum Elektromonteur ausgebildet, der andere war momentan arbeitslos. Auch die Vettern hatten keine Arbeit, doch die Männer der mittleren Generation arbeiteten als LKW -Fahrer; sie transportierten hauptsächlich Lebensmittel aus den Häfen in das Zentrallager der Handelskette Kesko.
    Alle Ezfahani-Männer waren sich in ihrem Urteil über Tuomas Soivio einig – an den Namen des Jungen erinnerte sich allerdings keiner, weil «die finnischen Namen so schwierig sind». Frau Noor Ezfahani hatte exakt dieselben Worte verwendet. Obwohl jedes Familienmitglied einzeln vernommen worden war, wiesen die Aussagen keine größeren Brüche auf. Entweder waren sie davon überzeugt, die Wahrheit zu sagen, was bedeutete, dass Noor ihnen im Hinblick auf Tuomas einen Bären aufgebunden hatte, oder sie hatten gemeinsam abgesprochen, was sie sagen würden. Die Familie kam aus Verhältnissen, in denen ein einziger missverständlicher Satz das Leben kosten konnte. Unter diesen Umständen lernte man, seine Worte abzuwägen. Ich würde Ruuskanen vorschlagen, alle Familienmitglieder noch einmal gemeinsam zu vernehmen, und zwar so, dass mindestens fünf Polizisten dabei waren. Wenn die Familie eine gemeinsame Lüge vereinbart hatte, käme es bei dieser Methode vielleicht zu unnötigen Ausschmückungen, und irgendwann würde sich einer in Widersprüche verwickeln.
    War Tuomas Soivio womöglich in Wut geraten, weil Noor ihn vor ihren Angehörigen verleugnet hatte? Hatte er sie deshalb umgebracht? Oder hatte Noor mit ihm Schluss gemacht, weil man sie gezwungen hatte, sich zwischen ihm und ihrer Familie zu entscheiden?
    «Hallo.» Puupponen polterte herein. «Gut, dass du mich angerufen hast, du hast mich vor einem Brummschädel gerettet. Ich hatte nämlich Liskomäki versprochen, nach dem Training ein Bier mit ihm zu trinken, und wie ich ihn kenne, wäre es nicht bei einem geblieben. Ich hab an der Beinpresse das Tempo forciert, um schneller hier zu sein. Dafür habe ich jetzt Beine wie Spaghetti.» Er setzte eine Flasche Recovery-Drink an und trank in großen Schlucken, die seinen Adamsapfel hüpfen ließen.
    «Wir stehen vor einem fundamentalen Widerspruch, was die Beziehung zwischen Tuomas Soivio und Noor Ezfahani betrifft. Zahlreiche Zeugen, darunter unsere Iida, sind der Meinung, dass Noor und Tuomas ein Paar waren. Das wussten angeblich alle. Alle außer der Familie Ezfahani, die völlig anderer Meinung ist.»
    «Ich habe sowohl den Großvater als auch Noors älteren Bruder Farid vernommen. Bei dem Großvater brauchte ich einen Dolmetscher, er spricht nur ein paar Worte Finnisch. Mit Farid habe ich mich in einer Art

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